Viel Papierkram, wenig Wertschätzung
Die Quartiervereine ärgern sich über neue Vorschriften der Stadt
Artikel von Michael Ledbur in der NZZ vom 18.12.204
Im März 2023 bricht mitten in Zürich Witikon ein Mann völlig unverhofft zusammen und stirbt. Der Tod des Mannes hat unerwartete Folgen. Denn der Mann war Finanzvorstand des Quartiervereins Witikon. Über 13 Jahre hinweg hat er Geld abgezweigt, 117 000 Franken insgesamt. Der Mann gab vor, Liegenschaften und eine Firma zu besitzen. Die anderen Mitglieder pflegte er zu belehren. Sein Auftritt war so überzeugend, dass niemand auf die Idee kam, sich ins Vereinskonto einzuloggen, um die Kontostände zu überprüfen. So reichte ein gefälschter Auszug zur Täuschung. Für die Stadt ist der Vorfall der entscheidende Anlass, die Zusammenarbeit mit den Vereinen neu zu organisieren. Sie will neu seitenlange Verträge mit jedem einzelnen Verein aufsetzen. Vereinsvertreter sagen, die Stadt nutze die Gunst der Stunde. Sie nehme den Anlass als Vorwand, um zu einem lang angepeilten Ziel zu gelangen: die Vereine an die kurze Leine zu nehmen.
Es ist die Fortsetzung eines Streits, der seit Jahren schwelt. Hier die Stadtverwaltung, die ein üppig dotiertes Büro für «Sozialraum und Stadtleben» unterhält, das mit Konzepten und verbindlichen Vorgaben agiert. Und sich daran abarbeitet, die Zusammenarbeit mit den Vereinen zu «systematisieren». Da die Vereine, die ehrenamtlich organisiert sind. Die Freiwilligen packen gerne mit an, wenn es gilt, das Quartierfest zu veranstalten. Mit Administrativem wollen sie aber möglichst wenig zu tun haben. Sie finden: Es braucht keine Zielvereinbarungen und Formulare, um einen Wochenmarkt abzuhalten.
Die «Expertokratie» nervt
In Wipkingen zum Beispiel organisiert der Quartierverein unter anderem das Räbeliechtlisingen, den Weihnachtsmarkt, Urban Gardening oder die Übertragung von Fussball-WM-Spielen auf Grossleinwand. Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen, sagt: «Freiwilligenarbeit muss Spass machen. Sonst macht sie niemand. Und Erwar tungen darf man an Freiwillige keine stellen. Sonst muss man einen Lohn zahlen.» Die «Expertokratie», wie er sie nennt, nervt Weder gewaltig.
Seit 2011 kümmert sich die Dienstabteilung Stadtentwicklung um die Quartiervereine. Seither drängt sie auf eine Neuorganisation. 2018 kündigte sie an, ihre «Schnittstelle zu den Quartieren» zu analysieren und gegebenenfalls «Optimierungen» vorzunehmen. Es folgte eine aufwendige Veranstaltungsreihe (18.9.2018 – 6.11.2019) mit dem Ziel, die Bedürfnisse aller Beteiligten abzuholen, mit tagelangen Konferenzen und aufwendigen Partizipations-Übungen (Bericht Mitwirkungsverfahren). Viele Quartiervereinsvertreter haben sie als gewaltigen Leerlauf in Erinnerung. Die derzeit vorliegende Weisung atmet denselben Geist. Das zeigt sich nur schon am Vokabular. Quartiervereine müssten «Funktionen» wie Informationsaustausch oder soziale Begegnungen im Quartier wahrnehmen, steht da, und zwar «verstärkt und systematisch».
Die neuen Pläne waren im Frühling erstmals publik geworden. Die Quartiervereine wehrten sich damals lautstark. Alle 25 Vereine wiesen den Vorschlag der Stadt an einer Versammlung zurück, einstimmig bei zwei Enthaltungen. Das ist bemerkenswert, weil die Quartiervereine sehr unterschiedlich sind – sie sind gross oder klein, politisch eher links oder eher bürgerlich. In diesem Punkt jedoch war die Ablehnung einhellig.
Die Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) ist dennoch hart geblieben. Kürzlich wurde die Weisung über die neuen Regeln vom Stadtrat verabschiedet, seit dieser Woche befindet eine Kommission im Stadtparlament darüber. Da die Stadt die Vereine subventioniert, kann sie diesen Vorschriften machen. Diese leben im Wesentlichen von den Mitgliederbeiträgen, aber die Subventionen der Stadt sind wichtig. Durchschnittlich erhält ein Quartierverein rund 15’000 Franken pro Jahr.
In einem einzigen Punkt ist die Stadt den Vereinen gegenüber dem Vorschlag vom Frühling entgegengekommen. Sie hatte den Vereinen nur noch 500 Franken Bargeld in der Kasse erlauben wollen – obwohl sich damit nicht einmal ein Wurststand betreiben lässt. Neu sollen sie wieder einen etwas grösseren Ermessensspielraum haben. Doch das ist die Ausnahme. Bis zu zwanzig Seiten sind die neuen Vereinbarungen lang. Vereinsvertreter sprechen von Mikromanagement, vom Eingriff in föderalistische Strukturen, von Misstrauen. Neu will die Stadt denVereinen eine externe, professionelle Revision vorschreiben. Zwar will die Stadt diese Kosten übernehmen. Aber für vieleVereine geht der Eingriff zu weit.
Der Tenor bei den Vereinen lautet: Genauer hinschauen ist nach dem Fall Witikon angezeigt. Aber dasVier-Augen-Prinzip, Unterschrift zu zweien und gesunder Menschenverstand würden reichen. Andere Subventionsempfänger gängle die Stadt auch nicht auf diese Weise. Letzteres bestreitet die Stadt allerdings; es sei ein normalesVorgehen,wenn die Stadt Betriebsbeiträge zahle. Und die strengeren Vorgaben seien eine Empfehlung eines externen Berichts, den die Stadt im Zusammenhang mit der Zweckentfremdung in Auftrag gegeben hatte.
Konsequenzen angedroht
Weiter ärgern sich die Vereinsvertreter, dass sie eine sogenannte Vernetzungsveranstaltung für das Quartier abhalten sollen, in die auch andere Vereine integriert werden – es ist ein Resultat der grossen Analyse vor fünf Jahren. Vereinsvertreter sehen dies als typische Beamtenidee. Vernetzung sei das tägliche Brot, die Veranstaltung aber eine überflüssige Alibiübung – und sie ist gemäss Vereinsvertretern schlecht besucht.
Was die Vereine besonders stört: Bei Nichtbefolgen droht die Stadt neu mit dem Entzug sämtlicher städtischer Unterstützung für Anlässe. In der Weisung heisst es: Lasse ein Verein den Anlass wiederholt ausfallen, sei es angezeigt, dass er «Konsequenzen» zu gewärtigen habe. Kategorisch heiss es in der Weisung des Stadtrats, die Veranstaltung sei «aus Sicht der Stadt unverzichtbar».
Ob die neuen Regeln in dieser Form wirklich eingeführt werden, hängt nun von den Beratungen im Stadtparlament ab. Balz Bürgisser, ehemaliger Präsident des Quartiervereins Witikon und zugleich Stadtparlamentarier der Grünen, glaubt, dass Verbesserungen zugunsten der Vereine noch möglich sind. «Bei dieser Frage wird nicht nach dem typischen Links-rechts-Schema entschieden. Viele sehen und schätzen, was die Vereine für die Lebensqualität in unseren Quartieren leisten.»
Unter Bürgissers Ägide ereignete sich jene verhängnisvolle Bereicherung, die zu den jetzigen strengen Regeln geführt hat. Er sagt, in Witikon habe danach die Quartierbevölkerung grosse Solidarität gezeigt. Ein Crowdfunding habe 15’000 Franken eingebracht. «Wir sind jetzt ein ärmerer Verein als zuvor. Aber der Stadt ist kein Schaden entstanden.» Gegen die externe Revision wehrt sich Bürgisser nicht, im Gegenteil habe man in Witikon nach dem Vorfall eine solche selbst durchführen lassen und gute Erfahrungen damit gemacht. Doch das grundsätzliche Misstrauen der Stadt gegenüber den Quartiervereinen sei fehl am Platz.
Einer, der sagt,er werde mit Sicherheit keinenVertrag mit der Stadt abschliessen, ist Beni Weder aus Wipkingen. Er sagt: «Es gibt uns seit 1859, und seit 1974 bekommen wir etwas Geld von der Stadt. Es wird uns auch ohne dieses Geld weiterhin geben.» Die Stadt müsste sich eigentlich glücklich schätzen, dass so viele Leute unentgeltlich zum Wohle der Quartiere arbeiteten, sagt Weder. Von Wertschätzung spüre man derzeit leider nichts.
Entwurf_Subventionsvereinbarung zwischen Stadt Zürich und dem Quartierverein