Verkehr

Verkehr im Kreis 10: Mitwirkung ohne Wirkung

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Die Stadt Zürich hat die Bevölkerung im verkehrsbelasteten Kreis 10 Lösungen erarbeiten lassen. Die Vorschläge aus dem Mitwirkungsverfahren hat sie dann aber abgeschmettert.

Artikel im Tagesanzeiger vom 27.11.2014 von Carmen Roshard

«Die wollen uns wohl dusslig reden»: Quartiervereinspräsident Beni Weder bei der Nordbrücke in Wipkingen. Foto: Urs Jaudas

Zürich – «Von Planung keine Ahnung», wettert Wipkingens Quartiervereins­präsident Beni Weder. Die beim «Mitwirkungsprozess Verkehr Kreis 10» erarbeiteten Lösungen seien fast alle von der Stadt als «nicht möglich», «schwierig» oder «muss zuerst untersucht werden» abgetan worden. Weder wird noch deutlicher: «In der Stadtverwaltung sind weder der Wille noch die Fähigkeit vorhanden, die Verkehrsprobleme zu lösen.» Die Strategie sei wohl, sagt Weder, alle mit sinnlosen Workshops dusslig zu reden. «So etwas machen wir nie wieder, das ist reine Zeitverschwendung.»

Die Situation im Kreis 10, der die Quartiere Wipkingen und Höngg umfasst, ist prekär. Die Haupteinfallsachse ist so eng, dass sich Tram und Autos den Platz teilen müssen. Aus dem Furt- und dem Limmattal drängen immer mehr Autos Richtung Innenstadt. Die Staus werden länger, der Verkehr wird dichter, die Ratlosigkeit grösser.

Die Stadt spielte den Ball ans Quartier weiter: 30 Leute sollten im Mitwirkungsprozess Lösungsansätze für einen «verdaulichen Verkehrsfluss» entwickeln. Die Gruppe brütete mehrfach ausführlich über möglichen Lösungen, auch einen ganzen Samstag lang. 17 konkrete Empfehlungen übergaben die Teilnehmer den zuständigen Ämtern.

Was bleibt? Gestutzte Sträucher

Jetzt haben die Dienstabteilung Verkehr der Stadtpolizei und das Tiefbauamt die Beteiligten darüber informiert, welche ihrer Vorschläge eine Chance haben, umgesetzt zu werden. Wenn das Schreiben einen Schluss zulässt, dann den: In den nächsten Jahren wird es im Kreis 10 keine Verkehrsberuhigung geben.

Nur für zwei Massnahmen aus dem Workshop sieht die Stadt Realisierungschancen: An einer Stelle auf der Rosengartenbrücke sollen Velofahrer links abbiegen dürfen. Und einige Sträucher beim Abgang zur Limmat am Wipkingerplatz sollen zurückgeschnitten werden.

Jetzt ist die Enttäuschung gross. «Wir haben viele Stunden unserer Freizeit geopfert», sagt Weder. Dabei sei ein konkretes Papier mit verhandelbaren Punkten entstanden. «Wie nun aus der Antwort der Stadt hervorgeht, hat der Berg eine Maus geboren.»

Konkret forderten die Quartiere etwa die Abklassierung des schmalen Asphaltbandes die Limmat entlang, um durchgehend Tempo 30 zu signalisieren. Keine Chance, sagen Stadt und Kanton, die regionale Klassierung sei zu belassen, «da keine leistungsfähigen Alternativen bestehen». Auch aus Tempo 30 während der Nacht wird nichts. Zwar schrieb die Stadt einen Pilotversuch aus, doch dieser bleibt durch Einsprachen blockiert. Die Interessengemeinschaft der Anwohner Am Wasser/Breitensteinstrasse reagiert enttäuscht: «Das entspricht nicht den Forderungen der Workshop-Teilnehmer.»

«Eine Ohrfeige fürs Quartier»

Ein anderes Beispiel: Die Quartiervertreter fordern, Rückstaus am Meierhofplatz, dem Zentrum von Höngg, sollten auf Strecken vorverlagert werden, auf denen keine Trams fahren. Das beauftragte Ingenieurbüro fand jedoch keine Lösung. Das heisst es trocken in der Stellungnahme der Stadt. Auch für eine passagierfreundlichere Anordnung der Tram- und Bushaltestellen hat die Stadt eine Machbarkeitsstudie durchführen lassen. Da werden Verbesserungen zwar als «grundsätzlich machbar» bezeichnet, aber Einsprachen blockieren auch hier das weitere Vorgehen.

«Die Bevölkerung wird wortreich vertröstet, und kein Problem wird wirklich angepackt», sagt Florian Utz, SP-Gemeinderat aus dem Quartier. Dafür habe das Tiefbauamt viel Geld für Studien ausgegeben, die belegen sollen, dass man nichts ändern kann. «Das ist eine Ohrfeige fürs Quartier und die Steuerzahler.» Auch der grünliberale Gemeinderat Guido Trevisan kritisiert die Stadt: «Grössere Würfe bleibt uns die Stadt schuldig und beweist damit kaum Mut, obwohl die Massnahmen auf politischer Ebene durchaus mehrheitsfähig sein könnten.»

Das Tiefbauamt und die Dienstabteilung Verkehr wehren sich. Heiko Ciceri, Sprecher der Dienstabteilung, antwortet für beide Ämter: «Den Vorwurf von fehlendem Willen, Probleme zu lösen, weisen wir entschieden zurück. Die beteiligten städtischen Dienstabteilungen haben jede Empfehlung sorgfältig geprüft und jeden möglichen Handlungsspielraum genutzt.» Dass gewisse Anliegen aufgrund auseinanderklaffender Ansprüche nicht immer zur Zufriedenheit aller gelöst werden könnten, liege in der Natur der Sache.

Trotzdem Grosses geplant

Für Missmut sorgt im Quartier aber auch, dass die Stadt zwar die Lösungen aus dem Workshop als nicht machbar bezeichnet, dafür aber Grosses plant – das sich allerdings erst in weiter Zukunft verwirklichen lässt. Eine Entlastung könnte ein Tunnel von der Europabrücke durch den Hönggerberg bis nach Affoltern bringen. Dafür prüft die Stadt bereits verschiedene Varianten.

SP-Gemeinderat Utz kritisiert, dass das Tiefbauamt viel Geld für die Planung solcher unterirdischer Strassenverbindungen ausgibt, obwohl die Forderung nach einem Tunnel als einzige der 17 Empfehlungen von der Mehrheit der Workshop-Teilnehmenden nicht unterstützt worden sei. Allerdings ist der Tunnel trotzdem im Abschlusspapier des Mitwirkungsverfahrens aufgeführt.

Ein neuer Tunnel bringt aber laut Florian Utz keine Entlastung, sondern im Gegenteil noch mehr Verkehr. Zudem käme ein solcher frühestens in 20 Jahren – und würde in der Zwischenzeit als Ausrede dienen, um gar nichts zu tun. «Die Menschen im Kreis 10 wollen aber nicht eine Milliarde Franken verlochen, bloss um danach noch mehr Transitverkehr ertragen zu müssen.» Von Entlastung könne bei einem Tunnelprojekt nicht die Rede sein.

«Mit dem Waidhaldetunnel zum Beispiel sollen täglich über 50 000 Autos beim Wipkingerplatz an die Oberfläche kommen. Und von dort aus das Quartier in alle Richtungen stark belasten», prognostiziert Utz. Der Waidhaldetunnel soll den ganzen Verkehr der Rosengartenstrasse aufnehmen. Der Stadtrat und die Kantonsregierung haben sich bereits darauf geeinigt, das 300-Millionen-Projekt an die Hand zu nehmen.

Käme zusätzlich noch ein Tunnel ab der Europabrücke, wäre dies für die Menschen an der Strasse Am Wasser/Breitensteinstrasse eine «doppelte Katastrophe», sagt Utz: Von beiden Enden her würde das Quartier mit einer Autolawine zugedeckt. Utz sagt: «Es entsteht der Eindruck, dass das Tiefbauamt jeweils genau das Gegenteil dessen tut, was die Bevölkerung verlangt.» Tiefbauvorsteher Filippo Leutenegger (FDP) müsse hier umdenken: «Es ist höchste Zeit, dass er endlich aufs Quartier hört», fordert SP-Mann Utz.

Auch Leutenegger gegen Tunnel

Leutenegger selber lässt im Gespräch durchblicken, dass er mit dem Ablauf des Mitwirkungsverfahrens nicht ganz glücklich ist. Konkret erklärt er: «Ich habe absolut keine Differenz zur Position von Florian Utz.» Die Stadt habe sich ebenfalls gegen einen weiteren Tunnel ausgesprochen, das stehe klipp und klar im Schlussbericht. Aber der Workshop wollte diese Empfehlung stehen lassen, so Leutenegger. «Deshalb muss sich das Tiefbauamt damit befassen, und es hat bei einem Büro eine Kleinststudie in Auftrag gegeben, die eine Grob­analyse zu den verkehrlichen Wirkungen und den Kosten vornimmt.»

Im Kreis 10 fehlen schlicht die Flächen, um die Verkehrsprobleme zu lösen. Das weiss und sagt auch Beni Weder. «Anderseits will die Stadt ja noch um 80 000 Menschen wachsen», sagt er. Deshalb müsse die Stadt beim verdichteten Bauen zuerst an die Kapazitäten von Strassen und öffentlichem Verkehr denken. «Aber das macht in Zürich keiner.»

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