Verkehr

Echter Service public – Bahnhofreisebüro Wipkingen

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Früher exportierte Regula Fischer Autos nach Afrika, heute führt sie das Bahnhofreisebüro in Wipkingen. Und fürchtet sich vor der Eröffnung der Durchmesserlinie. Artikel im Tagesanzeiger vom 18.11.2013.

Mit Regula Fischer sprach Georg Gindely

Welche Reiseziele sind bei Ihren Kunden am beliebtesten?

Die meisten kaufen bei uns am Schalter ganz normale SBB- und ZVV-Billette, Monats- und Jahresabos oder bestellen Halbtax- und Generalabonnemente. Wir verkaufen aber auch Fernreisen mit dem Zug, insbesondere nach Deutschland, Italien und Österreich oder mit dem TGV nach Paris.

Sind Sie SBB-Angestellte?

Nein. Das Bahnhofreisebüro Wipkingen ist ein privates Unternehmen und aus dem Quartier heraus entstanden. 1972 haben die SBB den bedienten Bahnhof Wipkingen aufgehoben, und während der Zeiten der offenen Drogenszene im Platzspitz und Letten drohte er zu verslumen. Mehrere Wipkinger haben damals beschlossen, das Bahnhofsgebäude wiederzubeleben. 1995 schlossen sie einen sogenannten Stationshaltervertrag mit den SBB ab; 1997 ist das Reisebüro vom mittlerweile leider verstorbenen Max Welti gegründet worden.

Wie sind Sie Geschäftsführerin geworden?

Ich lebe seit über 30 Jahren in Wipkingen und bin stark im Quartier verankert. Anfang 2011 hat mir ein Bekannter gesagt, dass das Bahnhofreisebüro eine neue Geschäftsführerin suche. «Wäre das nichts für dich?», fragte er. Ich habe gesagt: «Spinnst du? Ich komme ja nicht aus der Branche.» Dann habe ich es mir überlegt und mich beworben.

Was haben Sie vorher gemacht?

Nach meinem Studium arbeitete ich im Büro und war danach über zehn Jahre lang im Auto-Exportgeschäft tätig.

Wohin haben Sie Autos exportiert?

Nach Afrika. Ich bin in Kamerun als Tochter eines Schweizer Missionarspaars aufgewachsen. Als ich elf Jahre alt war, sind wir in die Schweiz zurückgekehrt. Meine Verbindung mit Afrika ist immer noch gross. Als ich selbst einmal ein Auto nach Afrika verschiffen wollte, fragte mich der Chef der Exportfirma, ob ich ihm einen Brief formulieren könnte. Er war Ägypter und konnte nicht so gut Deutsch. Er hat mich dann gleich abgeworben, und ich habe meinen sicheren Bürojob aufgegeben, um in einer alten Garage Exportpapiere und Ladelisten zu schreiben. Nach dem Tod unseres Chefs haben mein Arbeitskollege und ich die Firma selbstständig weitergeführt. Nach zehn Jahren fand ich, es sei Zeit für einen Wechsel. Da kam das Angebot aus Wipkingen.

Wie war der Start?

Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Meine drei Mitarbeiterinnen mussten mich einarbeiten; zum Glück sind sie Fachfrauen mit Geduld. Vieles war Learning by Doing. Als zu Beginn einmal jemand kam und ein Hunde-Generalabonnement verlangt hat, lachte ich und fragte: Gibt es das überhaupt? Die Mitarbeiterinnen und Kunden haben es mit Fassung getragen. Heute fühle ich mich sehr wohl – auch dank meines Teams.

Wie stark spüren Sie die Konkurrenz durch Billettautomaten und das Internet?

Wir spüren sie natürlich. Aber wir beraten unsere Kunden persönlich und bieten echten Service public. Das wird geschätzt. Was uns mehr bedroht, ist, dass die SBB die Provisionen auf das GA gesenkt haben. Das wird uns ein Loch von 100 000 Franken pro Jahr in die Kasse reissen. Erschwerend kommt hinzu, dass ab der Eröffnung der Durchmesserlinie nur noch eine S-Bahn-Linie über den Bahnhof Wipkingen verkehrt. Heute sind es drei Linien, und alle zehn Minuten fährt ein Zug in jede Richtung ab. Ab nächstem Jahr gilt der Halbstundentakt. Das wird Auswirkungen auf Wipkingen und unseren Betrieb haben. Wir bleiben aber im bisherigen Rahmen geöffnet. Die Quartierbewohner sind über die Reduktion der S-Bahn-Linien sehr verärgert. Wipkingen boomt wie nie zuvor. Als ich in den 80er-Jahren hierhergezogen bin, fragten mich meine Freunde: «Wipkingen? Gehört das noch zu Zürich?» Heute wollen alle hier wohnen.

Freut Sie das?

Früher war vieles ruhiger und gemütlicher. Da könnte man manchmal schon etwas nostalgisch werden. Aber nichts ist für immer, und Veränderung soll man auch als Chance sehen. Das Quartier ist viel lebendiger geworden. Und das gefällt mir sehr.

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