Wipkingen – Ein Stadtbahnhof im Abseits
Die Wipkinger wehren sich vehement für ihren Bahnhof, so am Montag mit einem Antrag der SP im Kantonsrat. Selbst wenn er angenommen würde, halten im Quartier bald weniger Züge.
Artikel von Stefan Hotz in der NZZ von Montag, 20.1.2014
Wird in die Schiene investiert, heisst das nicht, dass jeder Punkt im Netz davon profitiert. Es gibt auch Verlierer. Niemand weiss das derzeit besser als die Wipkinger. Heute halten die drei Linien S 2, S 8 und S 14 im Zürcher Stadtquartier. Sie werden ab dem 15. Juni unterirdisch an Wipkingen vorbei über die neue Durchmesserlinie (DML) geführt. Statt 6 Züge pro Stunde gilt nur noch der Halbstundentakt. Im Quartier hält dann die neue S 24, die von Zug zunächst bis Oerlikon, ab 2015 über den Flughafen bis Winterthur verkehrt.
Das ist insofern widersinnig, als in Wipkingen jeden Tag immerhin 5500 Fahrgäste ein- und aussteigen, deutlich mehr als in Wollishofen, Tiefenbrunnen oder Zürich Affoltern. An kaum einem anderen Ort im Kanton wohnen so viele Menschen in Fussdistanz zum Bahnhof. Der Widerspruch hat allerdings eine klare Ursache. In den neunziger Jahren wollten die SBB die Strecke zum HB mit einem Viadukt auf vier Gleise erweitern. Dagegen regte sich in Wipkingen und im Stadtkreis 5 heftig Widerstand. Die Lösung bestand in der DML.
Kein Platz im Fahrplan
Eine andere Frage ist, warum der Viertelstundentakt nicht möglich sein soll. «Die Stadt Zürich profitiert nicht von der DML», sagt die AL-Kantonsrätin Judith Stofer aus Wipkingen. Der Bahnhof sei für das Quartier nicht nur als Verbindung zum HB, sondern auch nach Oerlikon sehr wichtig. In Zürich Nord seien in den letzten Jahren zahlreiche Arbeitsplätze entstanden.
Das ist dem ZVV klar. Er hat zusammen mit den SBB nach Lösungen gesucht. Doch mitten in Zürich einen Zug in den dichten Fahrplan einzufädeln, ist auch nach der Eröffnung der DML schwierig. Ein Shuttle zwischen HB und Oerlikon alternierend zur S 24 ist nicht machbar, weil die von Wipkingen aus erreichbaren Gleise im HB nicht verfügbar sind. Der Halt eines Fernverkehrszuges ist nicht sinnvoll, da die Perrons verlängert werden müssten. Das Quartier gibt aber nicht auf.
Der Kantonsrat entscheidet in der Debatte vom Montag um das künftige Angebot des ZVV über einen SP-Antrag für eine Art Lex Wipkingen. Alle Bahnhöfe auf Zürcher Stadtgebiet sollen in der Regel im Angebotsbereich 3 liegen, was dem Viertelstundentakt entspricht. «Die Angebotsverordnung bezieht sich nicht auf ein Verkehrsmittel, etwa die S-Bahn, sondern generell auf den öffentlichen Verkehr», entgegnet jedoch der ZVV-Chefplaner Dominik Brühwiler. Zusammen mit Tram und Bus verfüge Wipkingen über den geforderten Standard: Selbst bei einer Annahme des Antrags würde sich nichts ändern.
Nachtrag QVW: 20.1.2014; 11:01: “Wir haben die Abstimmung im Kantonsrat verloren. Mit 109 gegen 55 bei 2 Enthaltungen. Ein Riesenfrust!“
Unbestritten ist auch für Brühwiler, dass wegen der Nachfrage und des städtischen Umfeldes ein Viertelstundentakt in Wipkingen angemessen wäre. Er räumt auch ein, dass künftig nicht alle Anschlüsse in Oerlikon auf die S 24 attraktiv sind. ZVV und SBB hätten jede Minute im Fahrplan durchgerechnet, aber keine Lösung gefunden. «Es fehlt nicht am Willen, sondern an betrieblichen Möglichkeiten», sagt er.
Stadtrat macht nichts
Das Quartier fühlt sich auch von der Stadt im Stich gelassen. «Der Stadtrat hat in dieser Sache zu wenig unternommen», sagt der Quartiervereinspräsident Beni Weder. Eine bessere Anbindung von Wipkingen könne doch den HB und andere Stadtbahnhöfe entlasten. Und es wäre für viele Pendler aus der Agglomeration interessant, die in Wipkingen arbeiten, sagt Weder. Der Bus 46 zum HB ist schon heute überlastet. Weder will weiter eine Lösung im Hinblick auf die Fertigstellung der DML Ende 2015 suchen. Dann könne man einen Fernverkehrszug auf die DML verlegen, um im Fahrplan Platz für einen Kurs zu schaffen, der in Wipkingen hält, hofft er.
Auf die Stadt kann er nicht zählen. Vor kurzem hat Stadtpräsidentin Corine Mauch in einem Brief an den Quartierverein klargemacht, dass in dieser Frage nichts weiter unternommen werde. Dass sich Wipkingen allein gelassen fühlt, kommt nicht von ungefähr. Anders als ländliche Regionen musste die Stadt nie um die S-Bahn kämpfen. Ihrer regionalen Verkehrskonferenz, die primär zuständig wäre, steht der VBZ-Direktor Guido Schoch vor. Sie befasste sich vor allem mit Tram und Bus.
Umgekehrt wollen die beiden Gescholtenen, ZVV und SBB, die kleineren Stadtbahnhöfe durchaus aufwerten. Das Zukunftskonzept 2. Generation mit einer inneren S-Bahn zielt darauf ab. Für die erste Etappe sind laut Brühwiler bessere Verbindungen für Wipkingen ein explizites Projektziel – allerdings frühestens ab 2030, wenn alles gut geht.
«Wipkingen Palace»
Das ist keine akzeptable Perspektive für ein lebendiges Quartier, das sich rührend um seinen Bahnhof kümmert, dessen Schalter schon über 40 Jahre nicht mehr bedient ist. Seit den neunziger Jahren wird der Raum aufgrund eines Stationshaltervertrags mit den SBB als Reisebüro genutzt. Später setzte sich der Quartierverein Wipkingen dafür ein, dass das heruntergekommene Restaurant Nordbrücke im gleichen Gebäudekomplex renoviert wurde. Im letzten Frühling übernahm er das Bahnhof-WC: Es soll in diesem Jahr saniert und zum «Wipkingen Palace» werden.
Beitrag auf Tele Züri