Willy Siegried und das Restaurant Anker – Kurzchronik
Willy Siegfried – Weltenbummler, leidenschaftlicher Koch und die bewegte Geschichte seines Restaurants «Anker». Ein kurzer Überblick von 1832 bis 1968.
Wipkingens Brücken und die Vorgeschichte des Restaurants «Anker»
1832:
Die Vorfahren von Hans Siegfried ziehen ins Bauernhaus ein, wo dieser später den «Anker» eröffnen wird. Sie betreiben einen Fährbetrieb über die Limmat.
1872:
Die erste Brücke über die Limmat vom Escher-Wyss- zum Wipkingerplatz wird eingeweiht.
1897:
Hans Siegfried bricht den alten «Anker» im ehemaligen Bauernhaus ab, worin er bereits ein Restaurant führte, und erbaut an der Röschibachstrasse 2 den neuen «Anker».
Bis das neue Restaurant steht, wirtet er im Haus an der Röschibachstrasse 4. Beim Bau des «neuen» Ankers wird limmatwärts das «Ankerstübli» bzw. «Jägerstübli» erstellt. Im «Käferberg» vom 25. Juni 1967 steht dazu rückblickend: «Unzählige Feste mit und ohne Festessen konnten hier seither durchgeführt werden. Seit der Gründung der ‘Alten Garde Wipkingen’ im Jahre 1911 führte sie hier allmonatlich ihre geselligen Zusammenkünfte durch.
1898:
Neben der alten Wipkingerbrücke wird der Tramsteg über die Limmat eröffnet.
1911:
Die Alte Garde Wipkingen wird gegründet und tritt sich fortan einmal pro Monat für gesellige Zusammenkünfte im Anker.
1926:
Der Dammsteg wird eröffnet.
Willy Siegfrieds junge Jahre: Ausbildung und Reisen
1914-17:
Willy Siegfried absolviert in in La Chaux de Fonds seine Lehre zum Koch.
1919:
Am 3. April 1919 schliesst Siegfried im Hotel du Parc in Lugano seine Lehrabschlussprüfung mit Bestnote «Sehr gut» ab.
Ab Juni 1919:
Willy arbeitet im Schlosshotel in Pontresina.
Frühjahr 1920:
Mit der Hamburg-Amerika Line bricht Siegfried vom Norden Frankreichs zur Überfahrt nach Südamerika auf.
Aus Siegfrieds Reisetagebuch [Daten sind eventuell falsch?]:
«Längst sehnte ich mich nach dem Auslande um die Welt ein wenig kennen zu lernen; aber der Krieg verhinderte mich noch in früheren Jahren mein geliebtes Schweizerland zu verlassen. Doch endlich klopfte die Stunde wo ich den Heimatschein in den Händen nach den verschiedenen Konsulaten lief um meinen Pass in Ordnung zu stellen welches noch gut von Statten ging, und nur noch mit der Schiffsgesellschaft zu tun hatte. Durch Bekanntschaft mit einem gewissen Herrn Frischknecht und seiner Tochter entschloss ich mich das gleiche Schiff zu nehmen wie sie, welches am 29 April [März?] 1920 Cherbourg verlassen wird. Das Billet kostete 1625 Franken 2ter Klasse, dazu kamen aber noch die verschiedenen kleinen Auslagen, bis nach Buenos Aires.
Dann (auf dem Dampfer Arlanza) wurde ein Liegestuhl gemietet für 7 ½ Schilling bis nach Buenos Aires. Hier auf dem Deck fühlte ich mich am wöhlsten; aber bis ich mich so an das Faulenzerleben gewöhnt bin, wird es wohl noch einige Tage dauern.
Am 9. Mai kommen uns sehr viele fliegende Fische entgegen um eventuell einige Abfälle zu erwischen. Morgens den 10 Mai nehme ich wie so ein liebes Salzwasserbad um mich etwas abzukühlen denn es war die ganze Nacht sehr düppig.
Wir nähern uns Rio de Janeiro und wir freuen uns alle dass hier ein längerer Aufenthalt gemacht wird. Es war wie ein Zauber wenn man diese Beleuchtung sah mit all den kleinen Inseln. Hier konnten wir das erste mal direkt vom Schiff ans Land steigen was wir uns nicht zweimal sagen liessen. … Der Verkehr ist ebenfalls sehr gross und an Automobilen fehlt es auf keinen Fall.
Bei unruhiger See kamen wir abends des 20 April 1921 in Montevideo an. Die erste Meldung war, dass im Hafen von Buenos Aires gestreikt wurde und die Arlanza nicht die Erlaubnis habe einzufahren. Nun wurde gepackt und in ein kleines Schiff gezogen.
Wir hatten noch zwei Stündchen Zeit die Stadt zu besuchen und um 10 Uhr abends mussten wir von dem Dampfer Abschied nehmen. Überglücklich wieder für immer festen Boden zu haben kommen wir am 21. April morgens Sonntag an. Zum letzten Mal Kofferauspacken fuhren wir dann dem HÔtel Deux Mondes entgegen um richtig zu frühstücken. Nun hatte ich mein Reiseziel erreicht und hoffe auch weiter mein Glück zu finden.»
1922:
Siegfried arbeitet als Koch im «Country Club» in Brasilien. Ein Foto im kleinen, kommentierten Reisefotobuch trägt die Überschrift «Meine Gänse- und Entenzüchterei in Brasilien».
Quelle: Kleines Fotobuch mit Freizeitfotos
1923:
Siegfried arbeitet als Koch im argentinischen Mar del Plata. Am 27. Januar 1923 schreibt er als Notiz auf der Rückseite eines Fotos, auf dem er am Strand liegend zu sehen ist «Hier ist einem wöhler als in der Küche».
1924:
Ernstes Bild von Siegfried, dazu die Notiz: «Schlechte Zeiten Amerika 1924»
1925:
Willy Siegfried hält sich in Pontresina auf. Im kleinen Fotobuch finden sich Bilder von ihm und Kühen, dazu die Notiz: «Auf hoher Alm».
1927:
An der Fachausstellung für das Schweizerische Gastwirtsgewerbe Zürich vom 4. bis 26. Juni 1927 wird Siegfried mit dem ersten Rang für «Beschickung der Abteilung A «Höhere Kochkunst» ausgezeichnet.
28. Juni 1928:
Siegfried wird in Caracas, Venezuela, als Chef de Cuisine bei O. P. de Siebenthal-Ruegg eingestellt und verdient im Monat «sixcents frs.» mit Kosten und Logie.
30. Juni 1928:
Siegfried reist mit dem Dampfschiff «Simon Bolivar» von Boulogne sur Mer nach La Guaira.
Ende 1928:
Siegfried tritt seine Heimreise von Amerika in die Schweiz an. Am 16. Dezember 1928 schreibt er von Bord des Dampfers Rugia eine Postkarte an seine Schwester:
«Von meiner Heimreise aus Amerika sende ich dir die besten Grüsse. Bin an Weihnachten zu Hause. Dein Bruder Willy»
Willy Siegfrieds Übernahme des «Ankers»
Juni 1931:
Willys Siegfrieds Vater, Hans Siegfried, verstirbt an einem Herzinfarkt.
30. April 1934:
Die Erbgemeinschaft des verstorbenen Hans Siegfried verkauft das Grundstück an Willy Siegfried.
30. Mai bis 5. Juni 1934:
Willy Siegfried reist fürs Restaurant Anker nach Wien und Budapest.
Dezember 1940:
Siegfried legt die Fachprüfung für den Fähigkeitsausweis für die «Führung einer Wirtschaft mit Alkoholausschank» ab: erfolgreich, wie er am 31. Dezember 1940 erfährt.
14. Januar 1941:
Der Finanzdirektion der Abteilung Wirtschaftswesen der Stadt Zürich überreicht Siegfried «die Urkunde über den Fähigkeitsausweis, sowie eine Bestätigung über das Bestehen der Fachprüfung».
April 1944:
Willy Siegfrieds Mutter, Elise Siegfried, verstirbt.
Februar 1946:
Zum Familienabend des Velo-Club im Restaurant Anker vom 16. Februar 1946 steht, im Begleitschreiben über Willy Siegfried: «…ist der Mann, bei dem man gut Essen und Trinken kann. Seine Weine sind bekannt fast im ganzen Swjtzerland. Drum brauchst du nicht in die Stadt hinein, kehre ruhig im Anker ein.»
1948:
Willy Siegfrieds Sohn Willy Hs. kommt zur Welt.
Stadtentwicklung der 60er-Jahre und Abbruch des Ankers
22. April 1965 (aus GGW Jahresbericht 1965):
«Am 22. April 1965 veranstaltete die GGW im grossen Saale des Kirchgemeindehauses Wipkingen einen Lichtbildervortrag mit Ausstellung der Baumodelle sowie der Projektpläne. Pläne und Baumodelle konnten bereits ab Dienstag, den 20. April 1965 in der Halle des Haupteinganges besichtigt werden. Als Referent konnte Herr Stadtingenieur Jakob Bernath gewonnen werden. Die Ausführungen des Referenten, im voll besetzten grossen Saal, fanden sozusagen einstimmige Zustimmung. Wir möchten auch an dieser Stelle dem Referenten den herzlichen Dank für seine Bemühungen abstatten. In der am 12. Dezember 1965 durchgeführten Gemeindeabstimmung wurde das Bauprojekt mit 40’606 Ja gegen 12’157 Nein die Zustimmung erteilt. Wir hoffen, dass recht bald mit den Bauarbeiten begonnen werden kann.
Trotz der zustimmenden Gemeindeabstimmung wird das Geschäft auf unserer Liste für unerledigte Geschäfte verbleiben. Während der Bauzeit werden immer wieder Fragen und Begehren, die unser Quartier berühren, uns verlassen bei den Behörden zu intervenieren.»
12. Dezember 1965:
Zürcher Stimmbürger bewilligen einen Kredit von 42,7 Millionen Franken für eine grosszügige Neugestaltung des Escher-Wyss-Platzes. Das Projekt sieht unter anderem die Erstellung einer neuen, zweistöckigen Wipkingerbrücke vor.
16. Januar 1967:
Tagesanzeiger der Stadt Zürich zum Umbau von Escher-Wyss-Platz und Wipkingerbrücke: «Zu den Opfern der neuen Verkehrslösung gehört auch der in der Bildmitte sichtbare Häuserblock Röschibachstrasse 2 und 4, der sich zurzeit noch im Privatbesitz befindet, im Verlauf dieses Jahres wohl aber von der Stadt erworben wird.
Die Familie Siegfried, die dieses Grundstück seit 1833 besitzt und in den Jahren 1895/97 den jetzt dem Abbruch geweihten Häuserblock erstellen liess, ist über diese Lösung keinesfalls erfreut. Wohl anerkennt der ehemalige Wirt des im Hause Röschibachstrasse 2 befindlichen Restaurants Anker, Willy Siegfried, die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Verkehrssanierung des Escher-Wyss-Platzes, doch hofft er, bisher allerdings ohne Erfolg, auf Realersatz durch die Stadt.»
18. Juni 1967:
Abschiedsfeier vom Anker, bevor dieser bis Ende Juni geräumt werden muss.
30. Juni 1967:
Kündigung des Wirtes des Ankers, F. J. Imholz
4. September 1967:
J. Frei, Vizepräsident der Gemeinnützigen Gesellschaft Wipkingen Quartierverein äussert in einem Schreiben vom 4. September 1967 seine Raumsorgen.
7. Dezember 1967:
Am 7. Dezember 1967 wird Willy als Grundeigentümer vom Hochbauamt der Stadt Zürich eingeladen «die Probleme der Neuüberbauung» zu besprechen. Im Schreiben des Stadtbaumeisters heisst es dazu: «Mit dem Bau der Westtangente, welche im Bereich des Escher-Wyss- und Wipkinger-Platzes in Angriff genommen wurde, ist der Abbruch zahlreicher Liegenschaften verbunden; eine Neuüberbauung muss hier in absehbarer Zeit in die Wege geleitet werden.»
Anfangs 1968:
Der «Anker» wird abgerissen.
Mai 1968:
Die Brückenhauptarbeiten beginnen. Der Pauschalauftrag ist an die Arbeitsgemeinschaft AG Conrad Zschokke, Ing.-Büro und Bau-Unternehmung in Zürich vergeben worden.
8. Dezember 1968:
Die Fortsetzung der Westtangente, die über den Bucheggplatz bis zum Tierspital in Angriff genommen werden soll, wird bei der Abstimmung mit grossem Mehr angenommen.
Ende 1968:
Im Jahresbericht des Gemeinnützigen Gesellschaft Wipkingen Quartierverein steht:
Unter B. Quartierfragen:
Neubau Restaurant «Anker» bei der Doppelbrücke
Im letzten Jahresbericht konnten wir auf die Prüfung einer Neuentstehung des abgebrochenen «Ankers» hinweisen. In diesem Zusammenhang erhielten wir vom Hochbauamt der Stadt Zürich den Auftrag, abzuklären, welche Lokalitäten in diesem Neubau dringend untergebracht werden sollten. Wir beantragten einen Saal für ca. 300 Personen, mit Bühne, der so zu projektieren wäre, dass die Erstellung von Sitzungszimmern in der Grösse für 10 bis 25 Personen möglich wäre, indem schalldichte Trennwände hervorgezogen würden.
Unter C. Quartier-Chronik (Berichterstatter: J. Frei)
Martina Egli und Michael Pscheor, Zürich, Dezember 2021