Umfrage zu den Bauprojekten in Wipkingen
Der Quartierverein wollte wissen, was die Wipkingerinnen und Wipkinger von der Baupolitik im Quartier denken und hat daher Mitte November 9000 Fragebögen im ganzen Quartier verteilt – rund 350 Antworten sind inzwischen retourniert worden. Hier ein erster Zwischenstand, der die wichtigsten Trends dokumentiert.
Gut die Hälfte der Antwortenden (52%) gibt an,dass ihnen der Erhalt der alten Bausubstanz, zum Beispiel das Nordbrüggli und der Bahnhof, am Herzen liegt. Das heisst das knapp die Hälfte nichts gegen einen Neubau hat. Das dies jedoch auch ein 40 Meter hohes Hochhaus sein könnte, findet nur eine Minderheit, nämlich 14%. Fazit: Neubau vielleicht, aber er sollte sich vom Bauvolumen her in die Umgebung einfügen.
Grosse Bauvolumen mehrheitlich unerwünscht
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Befragung zum Projekt Tiechestrasse. Hier sind knapp 70% der Befragten der Meinung, dass Neubauten nur innerhalb der bestehenden Bauzonen Vorschriften gebaut werden sollten, das heisst etwa gleich wie die Häuser in der Nachbarschaft. Arealüberbauungen mit bis zu 7 Geschossen werden nur gerade von 21% der Bevölkerung ohne Einschränkungen befürwortet.
Wie soll die Stadt Zürich auf die grosse Wohnungs-Nachfrage reagieren?
Die Wipkinger/innen sind sich bewusst, dass der Boden in Zürich knapp ist und dass die Bauvorschriften sich anpassen müssen, denn nur 10% geben an, dass man auf die grosse Nachfrage nach Wohnraum gar nicht reagieren soll. Wie ist es allerdings zu bewerkstelligen, dass mehr Wohnraum entsteht? Gut ein Viertel der Befragten (27%) meint, dass man auf grossen Arealen (mind. 6000 m2) höher und dichter bauen soll. Weit mehr, nämlich 65% der Antwortenden, sind jedoch der Meinung, dass man bestehende Bauten freier und stärker nutzen sollte. 12 % finden wiederum, dass man generell, also nicht nur bei Arealüberbauungen, dichter und höher bauen sollte.
Neuer Architekturstil mehrheitlich nicht erwünscht
Auf die Frage, ob sie gerne in einer Neuüberbauung wohnen würden, ist der Trend klar negativ. Über die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihnen die neuen Siedlungsbauten nicht gefallen – nur 18% würden gern in einer solchen Überbauung wohnen.
Mitarbeit der Quartiervereine erwünscht
Eine überwältigende Mehrheit der Befragten (75%) ist der Meinung, dass bei Arealüberbauungen der Quartierverein konsultiert werden sollte, und nur gerade 15% wollen, dass das Bauamt und die Bauherrschaft alleine entscheiden, wie das Projekt aussieht. Eine Volksabstimmung halten nur gerade 31 % für nötig – wahrscheinlich weil die betroffenen Quartiere in der Regel sowieso von den anderen Stadtkreisen überstimmt werden. Eine vollständige Antwort-Statistikfinden Sie ab Ende Januar 2007 auf wipkingen.net.
Ursula Wild
Zürich ist offenbar doch nicht gebaut
Der Quartierverein Wipkingen ist nicht gegen Neubauten. Aber wie gebaut wird – darüber lässt sich wahrlich streiten. Zwei Wipkinger Gemeinderäte, Pierino Cerliani (GP, gleichzeitig Vorstand QV) und Claudia Simon (FDP) nehmen Stellung zur aktuellen Baupolitik.
Quartierverein Wipkingen: In Wipkingen wird gebaut wie seit langem nicht mehr. Wie kommt’s, dass das Volk – wie zum Beispiel bei der Geleiseüberbauung beim Bahnhof – nie über diese Projekte abstimmen darf?
Claudia Simon: Nach der unsäglichen Verhinderungspolitik der früheren Stadträtin Ursula Koch und einer vom Kanton verordneten Ersatzbauordnung (sog. BZO Hofmann) wurde in Zürich einer neuen BZO (Bau- und Zonenordnung) zugestimmt. Darin ist eine Bestimmung enthalten, die Arealüberbauungen ermöglicht, wenn mindestens 6000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung steht. Gerade in unserem Quartier kann das an verschiedenen Orten in einer Zone für 3-geschossige Bauten zur Anwendung kommen, so dass 7-geschossig gebaut werden kann. Diese Überbauungen sind rechtlich also haltbar, für die Bevölkerung aber verständlicherweise oft umstritten.
Pierino Cerliani: Die geltende BZO (Bau- und Zonenordnung) ist in manchen Fällen zuwenig flexibel, um die Stadt gut zu gestalten. Also haben Stadtrat und Gemeinderat (mit Erlaubnis der Kantonsregierung) eine Ausnahmekategorie geschaffen, diese sogenannte «Arealüberbauung». Man darf dann in einem Gebiet, wo eigentlich nur 3-geschossig gebaut werden dürfte, bis zu 7-geschossig bauen. Im Gegenzug wird verlangt, dass die Überbauung «besonders gut gestaltet» sein muss.
QV: Was heisst «besonders gut gestalten» und wer wacht darüber?
Cerliani: «Besonders gut» ist ein schwammiger Begriff, den man auslegen muss. Zuständig dafür ist das sogenannte Baukollegium – ein verwaltungsexternes Gremium mit nationalen und internationalen Choryphäen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, aber jetzt kommt das Problem: Das Baukollegium wird vom Stadtrat bestellt, und man bekommt den Eindruck, dass nur Leute dabei sind, die mit dem Stadtrat und den Bauherren kompatibel sind.
Simon: Es gibt noch andere Probleme im Baurecht. Es ist für viele Hausbesitzer tatsächlich schwer nachvollziehbar, dass sie zum Beispiel an ihrem eigenen mehrstöckigen Haus keinen Behindertenlift anbringen dürfen, obwohl alle Nachbarn damit einverstanden sind. Übrigens ist im Kantonsrat dazu bereits ein Vorstoss von Kantonsrätin Carmen Walker Späh überwiesen worden. Oder weshalb ihnen eine Grossüberbauung vor die Nase gesetzt wird, obwohl sie beim Kauf ihres Einfamilienhauses vom Notar noch versichert bekamen, dass dies eigentlich nicht möglich sei.
Auf der andern Seite müssen wir uns aber bewusst sein, dass wir in einer Stadt leben und wir keine grossen Freiflächen am Stadtrand für Bauten zur Verfügung haben. Wir wollen ja schliesslich verhindern, dass immer mehr Familien aus der Stadt wegziehen. Tatsache ist auch, dass die Leute immer mehr Platz brauchen, seien es Familien oder Rentner, denen die bisherigen Raumflächen in den Altersheimen nicht mehr genügen.
QV: Das Problem ist also, dass Selbstverständliches nicht möglich ist und andere, grosse Bauherren mehr oder weniger freie Fahrt haben?
Cerliani: Das ist richtig, aber die Erfahrungen zeigen, dass man das vielleicht korrigieren muss. Der Stadtrat wird derzeit zum Überflieger und realisiert ein Stadtbild, dessen Stossrichtung vom Volk weder diskutiert noch gut geheissen wurde. Wir wissen also nicht, ob die Zürcher/innen dieses urbane, moderne Hochhaus-Zürich überhaupt wollen.
Simon: Es gibt zwei Vorgehensmöglichkeiten. Entweder man stellt die BZO bezüglich Arealüberbauungen zur Diskussion, oder die Quartiere müssen eine andere Möglichkeit haben, sich bei grösseren Planungen Gehör zu verschaffen. Wenn die Projekte bereits bewilligungsreif sind, ist es in der Regel zu spät, weil dann nur noch die unmittelbar Betroffenen – meist die direkten Nachbarn – ein Rekursrecht haben. Wir Wipkingerinnen und Wipkinger sind besonders sensibel. Wipkingen ist ein Quartier, das bereits seit Jahrzehnten vom Durchgangsverkehr geplagt wird. Der Verkehr prägt auch heute noch unser Quartier. Durch die Stadtentwicklung Zürich West und die Bemühungen der Stadtbehörden, das Problem mit dem Waidhaldetunnel in den Griff zu bekommen, kommt wieder Hoffnung auf und unser Quartier kann sich wieder entwickeln. Das ist grundsätzlich gut so, nur sollte man die Betroffenen dabei nicht vergessen und sie rechtzeitig mit einbeziehen.
QV: In unserer Demokratie wird über jede Verkehrsinsel diskutiert. Wie kommt es, dass der demokratische Prozess ausgerechnet bei den Grossprojekten de facto ausgeschaltet ist.
Simon: Ich möchte es anders ausdrücken. Wir haben in der Schweiz – glücklicherweise – ein hochdemokratisches System. Gerade deshalb sind wir besonders empfindlich, wenn etwas in die andere Richtung läuft. Die Bevölkerung ist aufgeschreckt und verlangt – zu Recht – Antwort.
Cerliani: Zurzeit ist es so, dass die Bevölkerung sich nur lokal für ihr eigenes Quartier wehrt. Wenn am Kreuzplatz gebaut wird, wehren sich die Riesbächler, wenn das Kleeblatt kommt, wehrt sich Zürich-Industrie und für Wipkingen kämpfen die Wipkinger. Wenn also ein Gestaltungsplan vors Volk kommt, können die einzelnen Quartiere wenig ausrichten, weil sie von den übrigen Stadtbürgern überstimmt werden. Das ist ein Sieg für die Stadtverwaltung, aber eigentlich ein trauriger. Deshalb müssen die Quartiere schon in der Planungsphase einbezogen werden – auch bei den Arealüberbauungen, die nicht vors Volk kommen.
QV: Und wie könnte man sicherstellen, dass die Quartiere mitreden?
Simon: Das geschieht nur dann, wenn man Wipkingen (wieder) ernst nimmt und rechtzeitig anhört. Das hat übrigens die Intervention beim Kattunpark eindrücklich bewiesen.
Cerliani: Die neue Kantonsverfassung sieht vor, dass den Quartieren mehr Autonomie eingeräumt werden kann. Lokal handeln, lokal mitreden. Wipkingen hat mehr Bürger/innen als die Stadt Aarau, und kann trotzdem in keiner Weise über sein eigenes Schicksal bestimmen.
QV: Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Quartiere ihr eigenes Süppchen kochen und nicht über den Tellerrand hinaussehen?
Simon: Ja, diese Gefahr besteht tatsächlich. Dennoch soll ein Quartier rechtzeitig angehört werden – damit wird nichts verhindert, höchstens Vertrauen geschafft.
Cerliani: Deshalb dürfen die Quartiere auch nicht allein das letzte Wort haben. Aber sie müssen angehört und Ernst genommen werden. Das entsprechende Verfahren muss noch ausgedacht werden, aber der Status quo ist unserer Demokratie nicht würdig.
Interview: Ursula Wild