Kultur

“Kunst gegen Abfall” – Belebung Postterrasse Wipkingen

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Der Bildhauer Heinz Niederer stellt Vandalen, Pennern und Hängern Skulpturen entgegen. Er beginnt damit auf der Dachterrasse beim Wipkingerplatz.

Artikel im Tagi vom 14.5.2014 von Helene Arnet

Zürich – Es gibt ein Wort, das Heinz Niederer verabscheut: Vision. Visionen, seien für die Katz, findet der 72-jährige Bildhauer, der es versteht, selbst schwere Eisenskulpturen poetisch wirken zu lassen. So ist denn auch Niederers jüngste Idee keine Vision, sondern ein handfestes Projekt: Er will «Unorte» in der Stadt verorten. Er glaubt an die heilende Wirkung von Kunst gegen Abfall, Schmierereien und Vandalismus. Die Probe aufs Exempel macht er auf der Dachterrasse des Postgebäudes am Wipkingerplatz, einem «Sorgenkind» unter den öffentlichen Plätzen, wie Sophia Berdelis vom Tiefbauamt sagt.

Anwohner erzählen: An schönen Abenden werde dort bis in alle Nacht abgehängt. Feucht, doch nicht immer fröhlich. Und am Morgen danach: Im Aufgang zur Dachterrasse stinkt es nach Urin, oben liegen Kartonbecher, Plastikgeschirr, Zigarettenstummel, Wodkaund Bierflaschen. Der Ort, den die Stadt 1934 der Post vertraglich für die Quartierbewohner abgerungen hat, ist nicht nur den unmittelbaren Anwohnern, wie etwa der reformierten Kirchgemeinde Wipkingen, deren Gemeindehaus über die Terrasse zugänglich ist, ein Dorn im Auge geworden. Es ist weitherum ein Ärgernis. Wie geschaffen für Niederers Experiment.

Start mit robuster Kunst

Es regnet Bindfäden, was Heinz Niederer nicht zu merken scheint. Konzentriert dirigiert er zwei Mitarbeiter des Tiefbauamtes, die mit einem Gabelstapler mannshohe Eisenskulpturen herbeikarren und aufrichten. Am kommenden Freitag wird die Ausstellung mit Skulpturen von Jürg Altherr und Heinz Niederer eröffnet. «Wir beginnen mal mit robuster Kunst», schmunzelt Niederer. Sollte diese ihre Wirkung tun, werden Künstler aus dem Kreis der Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer, die ihren Heimhafen auf dem Gaswerkareal in Schlieren haben, mit filigraneren Werken das Open-Air-Museum bestücken.

Was genau glaubt Niederer zu bewirken? «Die Leute sollen realisieren, dass dieser Ort etwas darstellt, dass er etwas wert ist.» Das führe zu einem sorgsameren Umgang, ist er überzeugt. Zudem soll die Kunst das Monopol durchbrechen, das sich die Hängerszene dort erobert hat. Erste Erfahrungen mit temporär aufgestellten Kunstwerken seien vielversprechend gewesen. Lediglich ein schlafender Hund des KünstlerinnenTrios Mickry 3 habe etwas gelitten, weil er verschiedentlich umplatziert wurde. «Das war kein böser Wille», glaubt Niederer. «Sie haben damit gespielt.»

Die Aktion wird von der Stadt Zürich ideell und mit einigen Dienstleistungen unterstützt. Denn sie liegt genau auf der Linie der angesagten Zwischennutzungen von öffentlichen Räumen, die städtebaulich vorübergehend brach liegen. Sophia Berdelis: «Wir wollen – beispielsweise mit Kunst – Inputs geben, damit die Attraktivität solcher ‹Unorte› sichtbar wird, und wir wollen verhindern, dass diese Orte vereinsamen oder zu Problemzonen werden.» Im vorliegenden Fall sei es nicht das Ziel, die Jugendlichen zu vergraulen. «Es geht aber nicht, dass eine Gruppe einen öffentlichen Platz allein für sich in Beschlag nimmt.» Schon gar nicht einen derart wertvollen urbanen Platz.

Tatsächlich ist die Terrasse mit dem prägnanten, unterdessen marineblau angestrichenen Aufsatz ein Wahrzeichen Wipkingens. Der vom Zürcher Architekten Manuel Pauli ursprünglich für die Rathausbrücke konzipierte Aufbau erscheint derzeit nur noch als Gerippe. Bis vor einem Jahr war dieses mit Plastikblachen überspannt und bildete eine zeltförmige Überdeckung, die im Volksmund teils liebevoll, teils spöttisch «die Eierschachtel» hiess. Da die Überspannung immer wieder zerrissen und besprayt wurde, hat Niederer in Absprache mit Paulis Witwe, der Malerin Eva Pauli, die Bespannung entfernt. Die Konstruktion bildet nun ein geradezu ideales Umfeld für die Skulpturen, da sie Räume im Raum definiert.

Das Projekt steht nicht allein auf weiter Flur: Eine temporäre Zwischennutzungen steht beispielsweise auch für den Hardplatz an. Er befindet sich aufgrund der geplanten neuen Tramlinien in einer solchen «Wartezeit». Laut Sophia Berdelis wird er vorerst einmal mit Blumen bestückt.

Die Kunst taucht ab

Für Heinz Niederer ist die Wipkinger Dachterrasse ohnehin erst der Startschuss für eine neue Bewegung. «Es gibt unzählige Orte in der Stadt, die mit Kunst aufgewertet werden sollten.» Unterführungen, die dank künstlerischen Eingriffen statt düster sakral, Kiesplätze, die statt öd weit würden. Wenn das keine Vision ist. Niederer schüttelt den Kopf, kramt aus seiner Hosentasche einen Schlüssel. Er führt uns, an aufgeweichten Kartonschachteln und weggeworfenen Papiernastüchern vorbei treppab, öffnet eine Tür, und wir stehen in einer stillgelegten Personenunterführung, die einst unter dem Wipkingerplatz zur Limmat führte. «Am 23. Mai ist in diesem Untergrund Vernissage der Ausstellung ‹Ungesehenes›», sagt Niederer. «Der Untergrund der Stadt Zürich ist voller solcher stillgelegter Gänge . . .» – «. . . und voller guter Künstler, die solche Räume interpretieren möchten», fügt sein Mitstreiter Jürg Altherr hinzu.

Doch bevor die Kunst in den Untergrund abtaucht, wird sie aufs Dach steigen. Am kommenden Freitag startet das Unternehmen «Kunst gegen Abfall». Heinz Niederer nennt es «Rosengarten auf der Wipkingerterrasse» – und damit haben wir ihn doch noch bei einer Vision erwischt – oder? Einen Rosengarten an der lärmigen Rosengartenstrasse? Niederer zieht uns in den Regen hinaus zu einem kümmerlichen Gestrüpp, das sich an die Säule des Pauli-Gestells klammert. «Das sind Kletterrosen – Sie werden staunen, wie schnell die wachsen.»

Frühere Aktionen zur Belebung der Postterrasse:

Skulpturengarten

Quartierblüten

Pflanzaktion

Herzklopfen

Ein Dach auf Wanderschaft

Dächer auf der Postterrasse

 

 

 

 

 

 

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