Städtebau

Jetzt wachsen bereits die Industriebauten in die Höhe

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Im Zentrum von Zürich wird ein 118 Meter hoher Kornspeicher gebaut. Hier geht es nicht um Verdichtung, sondern um Prestige. Ab kommendem Jahr werden also Unmengen an Getreide mitten in der Stadt Zürich gelagert. Dies ist ein Unsinn.

Artikel in der NZZ am Sonntag vom 19.4.2015 von Seraina Rohrer.

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Seraina Rohrer ist Direktorin der Solothurner Filmtage.

Aus meiner Zürcher Wohnung blicke ich auf eine der grössten Baustellen der Schweiz: die des Swissmill- Getreidesilos, eines 118 Meter hohen Kolosses aus Beton, der zurzeit im Zentrum von Zürich hochgezogen wird. Täglich kreuzen baubegeisterte Hobbyfotografen auf, Medienvertreter berichten aus der Höhe des gigantischen Krans, und freche Teenager klettern nachts für einen Schnappschuss hoch. In der Nachbarschaft ist die Baustelle das Thema Nummer eins. Immer wieder arten die Gespräche in städtebauliche Grundsatzdiskussionen aus. Wie hoch soll hierzulande gebaut werden, zu welchem Zweck und an welchen Standorten?

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Zersiedelung stoppen

Man ist sich einig: Um die Zersiedlung zu stoppen, muss es künftig in die Höhe gehen. Der 126 Meter hohe Prime Tower in Zürich oder auch die Hochhäuser von Roche in Basel, die Ersteren schon bald überholen, sind Musterbeispiele für verdichtetes Bauen. Die Bürotürme beherbergen Firmen mit zahlreichen Mitarbeitenden. Ganz anders ist die Lage beim Kornspeicher in Zürich. Hier werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, hier entsteht ein gigantisches Mehllager. Es soll europaweit der höchste Silo werden. Spekuliert wird, dass sich die Coop-Tochter Swissmill so einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde sichere. Das Unternehmen verkündet stolz, im Krisenfall könnte die Bevölkerung während mehrerer Monate mit Mehl beliefert werden.

Industriedenkmal

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Der rekordhohe Silo hat jedoch weit mehr zu bieten als nur Notvorrat. Er ist auch ein Industriedenkmal mit symbolischer Strahlkraft, als Beton-Moloch mit 118 Metern Höhe wird er das Stadtbild nachhaltig prägen. Interessant dabei ist, dass die Zürcher Bevölkerung – von den Anwohnern einmal abgesehen – dem Bau des Silos zugestimmt hat. Grund dafür sind der zurzeit vorherrschende Konsens zu hohen Bauten und die Nostalgie: Der Silo verweist auf die einstige Bedeutung traditioneller Industriebetriebe. Er ist eine Art Widerstandsmonument eines Wirtschaftszweigs, der zunehmend aus städtischen Gebieten verdrängt wird. Nur – aber eben doch – acht Meter kleiner als der Prime Tower, ist der Turm ein Statement: Zürich lebt nicht bloss von Banken, sondern auch von Getreide.

Unmengen von Getreide

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Ab kommendem Jahr werden also Unmengen an Getreide mitten in der Stadt Zürich gelagert. Dies ist ein Unsinn. Zuerst wird das Getreide mit Zügen und Lastwagen in die Stadt gekarrt. Dort wird es gemahlen, über Röhren in den riesigen Silo hochgepumpt, um dann wiederum auf Lastwagen und Züge verladen und in der Schweiz und in ganz Europa verteilt zu werden. Der Lagerplatz mitten in der Stadt ist nicht nur teuer, er generiert auch viel unnötigen Zusatzverkehr in den städtischen Wohnquartieren. Ganz anders die Situation am früheren Standort in Basel, wo das Getreide zum Teil direkt auf Schiffe verfrachtet wurde.

Protzig, Prestige, Macht

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Beim Silo der Swissmill geht es nicht um Zweckmässigkeit, sondern um Prestige und Macht. Hochhäuser galten hierzulande lange als protzig und widersprachen damit dem Grundsatz der zurückhaltenden Schweizer Mentalität. In den letzten Jahren hat sich das grundlegend geändert. Überall wird in die Höhe gebaut, nur noch selten wird die Frage nach dem Sinn gestellt. Sogar das utopische Projekt eines 380 Meter hohen Luxus-Turmes wird ernsthaft geprüft. Während früher die Kirchtürme hoch über die Dörfer ragten, sind es seit ein paar Jahren die Hochhäuser der Finanzindustrie, der Pharmaindustrie und bald auch des Müllereigewerbes. Wenn in ferner Zukunft Historiker unser Zeitalter analysieren werden, könnten sie für die Zivilisation um 2015 zum Schluss kommen, dass das Geld im Zentrum stand, dass die Leute häufig krank waren und dass sie viel Brot assen. So falsch lägen sie damit nicht.

(c) Libero, Kesayer, Shar, Faebs, Conflict, SGM

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