Tunnel-Poker: Lohnen sich Investitionen an der Rosengartenstrasse?

Aufwertung: In Zürich gibt es keine schlechten Wohnlagen mehr; nur noch schlechte Fenster. Das zeigt die Rosengartenstrasse.

Kommentar im Tagesanzeiger vom 30.1.2015, von Beat Metzler

Wird sie zur beliebten Wohngegend? Die Rosengartenstrasse, vom Bucheggplatz aus gesehen. Foto: Patrick Hürlimann

Das Geschäft klingt nach Irrsinn. Dabei ist es so sicher wie ein Geländewagen. Noch vor zehn Jahren hätte kaum eine Bank Eigentumswohnungen an der Rosengartenstrasse mit Krediten unterstützt. Wer will schon an einer Strasse wohnen, durch die täglich 56 000 Autos donnern? Neben einer vierspurigen Dauerkolonne, deren Russ Hausfassaden und Lungen schwärzt? Bestimmt niemand, der 1,15 Million Franken für eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung bezahlt. Diese Abneigung war einmal. 9 von 19 neuen Eigentumswohnungen an der Stadtautobahn sind verkauft, bevor der Rohbau steht (TA vom Mittwoch).

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Seit kurzem entstehen MillionenApartments an Stadtzürcher Orten, die früher als trostlos oder unbewohnbar galten: Neben dem Sihl-Autobahnviadukt, am Gleisstrang, an der Rosengartenstrasse. Spezialscheiben halten den Lärm draussen, PR-Deutsch verwischt die Härten der Umgebung. Immobilienfirmen schreiben von «Kontrasten», «städtischen Gegensätzen», einem «spannungsreichen Umfeld» oder «radikaler Urbanität». Die Eigentumswohnungen an der meistbefahrenen Schweizer Strasse zeugen vom umfassenden Beliebtheitsschub, der Zürich erfasst hat. Der Wert von städtischem, zentralem Wohnen übertrifft alle Widrigkeiten. In den beliebten Zürcher Quartieren gibt es keine schlechten Wohnlagen mehr; nur noch schlechte Fenster. Das bedeutet, dass billige Wohnungen auch an garstigen Orten langsam verschwinden werden – schlechte Nachrichten für Menschen, die das Tosen der Autos bis anhin gegen eine tiefe Miete eintauschen konnten.

Autos unter den Boden?

Die Rosengartenstrasse bildet zugleich eine Ausnahme. Wer hier Eigentum kauft, wettet auf die Politik. Regierungs- und Stadtrat haben einen Entlastungstunnel auf das Jahr 2032 versprochen. Autos und Abgase würden vergraben, stattdessen glitten Trams zum Bucheggplatz hoch. Ob das 850-Millionen-Projekt eine Volksabstimmung übersteht, ist offen.

Sagen die Zürcher Ja, endet die Wette mit dem Hauptgewinn. Das zeigt die Hochgeschwindigkeitsaufwertung, welche die Weststrasse durchgemacht hat. Die Transitschneise wurde zur Quartierstrasse beruhigt, was einer Vergoldung des Bodens gleichkam. Millionen pumpte der Staat in die West-Umfahrung, die Eigentümer an der Weststrasse schöpften den Gewinn ab. Viele Häuser wurden verkauft und umgebaut. Die meisten der früheren Mieter mussten wegziehen, die neuen Preise überstiegen ihr Budget. Sie, die den Lärm jahrzehntelang erduldet und bekämpft hatten, konnten die neue Idylle nicht geniessen.

In Briefen ermahnte die Stadt alle Eigentümer zu sozialem Anstand. Um die Vertreibung wirklich abzufedern, hätte sie Häuser selber erwerben müssen. Doch sie kam zu spät, auf dem Markt mit den Eigentumswohnungen konnte sie nicht mehr mithalten.

Mehrmals und deutlich haben die Zürcher mehr günstigen Wohnraum gefordert. Will die Stadt die Rosengartenstrasse von einer Verteuerungsspirale à la Weststrasse bewahren, müsste sie jetzt anfangen, Häuser zu kaufen. Sonst kommt sie wieder zu spät. Dieses Geschäft hat eine breite Knautschzone. Möglich, dass sich der Tunnel als Luftschloss herausstellt. Doch Häuser in Zürich bleiben sichere Werte – selbst wenn sie umtost werden von «radikaler Urbanität».