Verkehr

«Dialogprozess» Rosengartenstrasse vor dem Aus

Alle wichtigen Verbände sowie der Kanton haben sich verabschiedet. Jetzt ziehen sich auch noch die beiden wichtigsten Anwohnervereine zurück: der Quartierverein Wipkingen sowie die IG Westtangente Plus. Die IG bezieht sich darin auf den Ausstieg der bürgerlichen Verkehrsverbände. So sei «ein Dialog gar nicht möglich».

Artikel in der NZZ vom 10.12.2025 von Michael von Ledebur.

Foto: GAETAN BALLY / KEYSTONE Legende: Bald sechs Jahre ist es her, seit der Tunnel an der Rosengartenstrasse an der Urne gescheitert ist – verändert hat sich seither nichts an der Situation. 

Die Stadtzürcher Verkehrsministerin Simone Brander (SP) träumt davon, die Verkehrsschneise Rosengartenstrasse im Norden Zürichs umzubauen. Der vierspurige Verkehrsstrang mit täglich fast 60 000 Fahrzeugen soll zur grünen Stadtstrasse werden. Über den Weg zu diesem Ziel wollte sich Brander mit Interessenvertretern verschiedener Couleur unterhalten – «ergebnis-offen», wie sie betont. Doch je länger, desto deutlicher zeigt sich: Brander ist praktisch die Einzige, die diesen «Dialog» führen will.

Ganz am Anfang stiegen, noch vor der ersten Sitzung im Juli, die bürgerlichen Verkehrsverbände ACS und TCS sowie der Hauseigentümerverband und der Zürcher Gewerbeverband aus, worüber die Tamedia-Zeitungen damals berichteten. Die Verbände fanden, die Meinungen seien gemacht – und wollten nicht als «Feigenblatt» herhalten.

Jetzt ziehen sich auch noch die beiden wichtigsten Anwohnervereine zurück: der Quartierverein Wipkingen sowie die IG Westtangente Plus. Dies zeigen zwei Schreiben, die der NZZ vorliegen. Die IG bezieht sich darin auf den Ausstieg der bürgerlichen Verkehrsverbände. So sei «ein Dialog gar nicht möglich».

Ein «Frontalunterricht»

Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen, beschreibt die erste Sitzung der Gruppe auf Anfrage als «Frontalunterricht» durch die Stadt. Von siebzehn Teilnehmern seien elf Abgesandte von städtischen Stellen oder von der Stadt beauftragten Büros gewesen.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Kanton definitiv nicht mitmacht. Dies bestätigt die Volkswirtschaftsdirektion von Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) auf Anfrage. Man habe dies «nach dem Rückzug zahlreicher Akteure aus der städtischen Spurgruppe» entschieden, sagt ein Sprecher. Auch ein Faktor sei, dass der Kanton eine besondere Rolle habe, da er letztlich Genehmigungs- und Rekursinstanz sei.

Sogar im rot-grün geprägten Stadtparlament regt sich Widerstand. Im Vorfeld der Budgetdebatte, die an diesem Mittwoch beginnt, liegt ein Antrag auf dem Tisch, die 300 000 Franken für den «Dialogprozess Zukunft Rosengartenstrasse» zu streichen. Eingestellt ist dieser Betrag für Honorare externer Berater und Gutachter. Der Antrag hat gute Chancen, angenommen zu werden.

Der Glaube an den Dialogprozess ist somit verflogen. Das hat mehrere Gründe. Der Prozess geht zurück auf das Jahr 2020. Damals kämpfte Brander, die selbst in Wipkingen wohnt, noch als SP-Stadtparlamentarierin an vorderster Front gegen den Rosengartentunnel. Er hätte das Quartier zwar vom Durchgangsverkehr befreit, aber nichts an der Verkehrsmenge geändert. Deshalb war Rot-Grün dagegen. Das kantonale Stimmvolk versenkte das Projekt.

Brander propagierte die verkehrsberuhigte Rosengartenstrasse als Alternative. Als Parlamentarierin machte sie den Vorstoss für den Dialogprozess, den sie als Stadträtin jetzt umsetzen soll. Doch das Vorhaben hatte von Beginn an einen Schönheitsfehler. Der Spielraum der Stadt war unklar. Das zeigte sich deutlich 2021, als die Stadt auf der Strasse Tempo 30 einführen wollte. Die Kantonspolizei verweigerte die Zustimmung. Die Folge: ein Rechtsstreit zwischen Stadt und Kanton, der noch immer schwelt.

Hinzu kommt die kantonale Mobilitätsinitiative, der das Volk bei der Abstimmung vor zehn Tagen zugestimmt hat. Seitdem ist der Spielraum der Stadt nochmals kleiner geworden, denn sie ist bezüglich der Strassensignalisation nicht mehr eigenständig. Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass der Kanton an der Rosengartenstrasse das Sagen hat.

Konfrontation – oder Neustart?

Was ist die Alternative zum Dialogprozess? Die IG Westtangente Plus setzt auf Konfrontation mit dem Kanton. Dieser habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nie bewegt, sagt Präsident Markus Zimmermann. Dabei seien die Behörden eigentlich verpflichtet, die Bevölkerung vor Lärm und Luftverschmutzung zu schützen.

Die Vision der IG: Der Ausbau der Nordumfahrung, die ansteht, schafft Platz auf der Autobahn. Dies sei die Gelegenheit, die Verlagerung weg von der Rosengartenstrasse neu zu diskutieren, am besten durch eine Halbierung der Fahrspuren. Aber das müsse rasch geschehen, so die IG. Anfang der 2030er Jahre werde dieAutobahn wieder durch sonstigenVerkehr ausgelastet und erneut mit Staus belastet sein. Die Stadt solle deshalb möglichst rasch konkrete Bauprojekte auflegen. Dann sollen die Gerichte entscheiden.Der Dialogprozess stehe dem imWeg. «Er kostet nur unnötig wertvolle Zeit», sagt der IG-Präsident Zimmermann. 

Der Quartiervereinspräsident Weder hingegen wünscht sich einen «echten politischen Neustart». Erst dann sei ein Dialog wieder sinnvoll. Die Rosengartenstrasse sei leider zum Spielball der verschiedenen Ideologien geworden. Vergessen gehe das Interesse der Anwohner. Das Gegenbeispiel befinde sich in Schwamendingen. «Es ist verblüffend, dass die Einhausung dort ohne politisches Hickhack über die Bühne ging.»

Die Idee einer Verkehrsverlagerung auf die Nordumfahrung, die die IG Westtangente Plus propagiert, ist aus Sicht des Kantons durchaus prüfenswert. Ein Sprecher der Volkswirtschaftsdirektion sagt, es gebe «Hinweise, dass der Ausbau der Nordumfahrung ein gewisses Potenzial haben könnte, den Durchgangsverkehr durch die Stadt zu reduzieren und damit die Rosengartenstrasse zu entlasten». Diese Feststellung sei jedoch nicht abschliessend und von diversen anderen Faktoren und Planungen abhängig.

Könnte dies Grundlage für den erhofften politischen Neustart zwischen Stadt und Kanton sein? Zwei Hindernisse stehen dem im Weg: Erstens streiten sich Stadt und Kanton noch immer juristisch über Tempo 30 an der Rosengartenstrasse. Zweitens kann die Stadt einer Verlagerung des Verkehrs auf die Autobahn kaum glaubwürdig das Wort reden. Denn im Rahmen ihrer Pläne für einen autofreien Hauptbahnhof hat sie propagiert, den dortigen Autoverkehr verlagern zu wollen – ausgerechnet auf die Rosengartenstrasse. Eine Idee, die die IG Westtangente Plus ihrem ehemaligen Mitglied Simone Brander übrigens übel nimmt.

Ob für Brander ein «Dialog» nach dem Ausstieg aller wichtigen Teilnehmer noch Sinn ergibt, wollte ihr Sprecher am Dienstag nicht beantworten. Sie werde sich in der Budgetsitzung dazu äussern.

 

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