Altersheim oder Hipsterkolonie – Höngg vs Wipkingen

Ein polemischer Vergleich zwischen Höngg und Wipkingen von Daniel Ludwig.

Auf www.kreis10.ch hat Daniel Ludwig seine Eindrücke bereits veröffentlicht. Wir bringen sie hier bei uns mit freundlicher Genehmigung von www.kreis1o.ch (Copyright 2019 by Marco Leanza).

Gemeinsamer Kreissaal

Die beiden Kreis-10-Ortschaften Höngg und Wipkingen kann man seit der letzten Eingemeindung 1934 mittlerweile als bewährtes Paar einstufen; und wie es Paare so an sich haben, sind die beiden trotz geographischer Parallelen glücklicherweise grundverschieden geblieben. Aber Gegensätze ziehen sich an, das ist essentiell, wenn man im selben Kreissaal auskommen will. Die Physik ihrer jeweiligen Lage hingegen suggeriert (frei nach Toni Marshalls „Macht der Geographie“) topographisch trotzdem eine Art dörfliche Verwandtschaft. Wipkingen erstreckt sich vom Waldrand des Waidbergs sanft hinab an die Fluten der Limmat, ähnlich wie Höngg, das etwas distanzierter und entrückter auf seinem sonnigen Sockel thront und mit seinen Villen und Einfamilienhäusern über einen Rebberg und steile Strässchen hinab an den dort vom Hönggerwehr angestauten Fluss schwappt. So träge wie in Höngg die Limmat fliesst, so beschaulich gibt sich auch das Dorfleben (ausser am Meierhofplatz bei Rush-hour), während die flinken Fluten der Limmat unterhalb der Hardbrücke das dynamischere und hektischere Wipkingen akkurat widerspiegeln.

Limmatinsel

Mit der Physik totpgraphischer Eigenheiten fortfahrend, sei dahingehend differenziert, dass Wipkingen unterhalb des Ampèrestegs nur über eine mickrige, mit zerzausten Bäumchen geschmückte, von grossen Kieseln bedeckte und häufig überflutete Insel verfügt. Sie gemahnt in winterlichen Schneestürmen oder frühmorgens im Herbstnebel an den oberen Yukon in Alaska; insbesondere, wenn sich Möwen, Krähen, Kormorane oder Reiher schreiend um einen Fischkadaver balgen, und sich der Spaziergänger – allein auf weiter Flur und sich einen lachsfressenden Grizzly am Ufer imaginierend – weit weg wähnt. Wildes Wipkingen, hundertprozentig analog. Höngg hingegen besitzt die viel grössere Werdinsel, eine sehr stark genutzte Naherholungszone, deren Westteil im Sommer und an lauen Frühlings- oder Herbstabenden zum Spargelfeld mutiert – man verzeihe dem Schreibenden diesen irritierenden Begriff. Der Ortskundige weiss natürlich, dass dort kein solch spitzes Gemüse wächst, der Boden ist zuwenig sandig, nein, mit Spargeln sind die zur Schau gestellten primären Geschlechtsorgane der sich meist im hohem Gras räkelnden, unschlüssig nach Gleichgesinnten linsenden Nacktmännchen gemeint. Kulanterweise liess Grün Stadt Zürich den buschigen Nord- und Westteil – sinnigerweise „Spitz“ genannt – etwas ausdünnen. Man wird dort bei wärmerem Wetter beim Spazieren mit Hund, Kind und Kegel nun wohl etwas weniger von kopulierenden oder sich gegenseitig Erleichterung verschaffenden Herren der Schöpfung überrascht

Flussbadis

Etwas mehr Halligalli, bzw. Betrieb herrschen im Sommer im Flussbad beim angrenzenden Hönggerwehr und natürlich in den weiter flussaufwärts liegenden Wipkinger Badis Oberer und Unterer Letten. Dort würden allerdings blutte Werdinsel-Spargelstecher wohl stante pede von der tätowierten Jeunesse doréee zur hormonellen Abkühlung in die Limmat geworfen. Der Fluss wird jedoch fatalerweise jeden Sommer ein paar Grad wärmer, 2018 näherten sich Luft- und Wassertemperatur bedenklich an und von Abkühlung im lauen Wasser war bald keine Rede mehr. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten im letzten Sommer in der Limmat sogar geschwitzt.

Fische

Gehen wir mit der Geomorphologie des Kreises 10 noch ein bisschen weiter: Im Frühjahr wie im Herbst, wenn die Fischereisaison anfängt, reihen sich in den ersten Tagen nach Ablauf der Schonfrist in Höngg wie auch in Wipkingen die meist in tarnfarbener Ausrüstung, d.h. im Alaska-Style ausgestatteten Hobbyfischer der Limmat entlang. Sie jagen mit ernster Miene mittels Köder, Löffel, Fliege oder schnödem Wurm der Forelle, der Äsche, dem Saibling oder dem Hecht nach. Nach ein paar Tagen sind sie meist wieder weg, weil sie fast nichts fangen. Die ganz wenigen unvorsichtigen Fischlein, die sich erwischen lassen, sind meist Monate oder Jahre zuvor ausgesetzt worden, sie gehen ergo von Menschenhand zurück in Menschenhand, bzw. Menschenmagen – ein etwas tristes Rondo. Der Schreibende kann die Fischarmut bestätigen, tummelt er sich doch oft mit Tauchermaske und Flossen auf dem algenumflorten Grund der Limmat. Weissfische, ergo Schwalen, Brachseln und Barben hat es, ja. Aber erspäht er mal eine seltene Äsche oder gar eine rotgepunktete, in der Strömung schwirrende „Fario fario“, eine Bachforelle, jubelt er wie der Taucher im Meer, an dem ein acht Meter langer Walhai majestätisch vorbeizieht.

Swissmill Tower

Dem Schreibenden ist nicht bekannt, wie die Höngger abstimmten, als es um den Bau des Swissmill-Towers der Coop ging. Das Kornhausmonster bewacht mittlerweile unüberseh- und unverrückbar als steinerne Schildwache das Untertanendorf Wipkingen und wirft im Sommer stundenweise kalten Schatten auf die Sonnenhungrigen im Bad Unterer Letten. Das mindert positiverweise das Hautkrebsrisiko der sich dort Aalenden und auch den Balkonpflanzen auf den nordseitig der Limmat liegenden Wohnhäusern tut im Hochsommer stundenweiser Schatten gut. Aber falls eine Mehrheit der Höngger damals Ja für den grauen Mehlturm stimmten, dann haben Letztere jetzt den Salat, bzw. den Beton. Einigen tieferlebenden Hönggern werden nämlich durch den Bau der zwei Credit-Suisse-Hochhäuser, die im Gesamtpaket mit dem neuen Stadion gebaut werden sollen, die Sicht auf Glärnisch, Vrenelisgärtli und Tödi auf ewig verwehrt – eine späte Rache der Wipkinger?

Fussball

Dafür hat Höngg mit dem SV Höngg einen guten Fussballklub auf einem hochgelegenen Platz. Trotz der Höhenlage wird dort an Samstagen konsequent ohne zusätzlichen Sauerstoff gespielt, die Höngger Kicker sind durchtrainierte Halbprofis und spielen in der 1. Liga in der Gruppe 3. Das Niveau ist da bereits ziemlich hoch. Sie liegen aber zurzeit leider nur auf dem unspektakulären 8. Platz, während der in den Tiefen der 4. Amateurliga wirkende SC Wipkingen in seiner Gruppe 4 stolzer Tabellenführer ist. (Stand 11. April 2019). Warum nicht also mal an einen Match? Das ist ein weit grösseres Erlebnis als ein dröger, bier- und chipsgesäumter Champions-League-Abend auf dem zerbröselten Sofa.

Banken

Höngg hat drei Banken – die Raiffeisen, die UBS und die ZKB. Wipkingen hingegen hat keine. Oder doch: An der Rötelstrasse ist eine WIR-Bank, das ist allerdings eine nach Sozialismus riechende Genossenschaft, die 2018 lächerliche 13.5 Mio Gewinn machte, eine Summe, die finanzwirtschaftlich betrachtet quantité négligeable verkörpert und in der Bankenwelt einem Mückenfurz gleichkommt. Relevant ist in diesem Zusammenhang eher, dass in Höngg durch die Präsenz dreier Grossbanken dem Anschein nach weit mehr Geld verdient und gehortet wird. Logisch: Die Höngger haben im Durchschnitt ein paar Jahrringe mehr auf den Rippen als die Wipkinger und demzufolge auf ihrer citynahen Anhöhe verdientermassen mehr auf der hohen Kante. Deswegen gibt es in Höngg einen gutbestückten Polizeiposten, denn wo Reichtum ist, ist Neid und deshalb ist auch die Polizei da. Die Höngger Beamten dürften da allerdings eine weit ruhigere Kugel schieben als in der City, meist begnügen sie sich, gutversteckt hinter Autos auf dem Trottoir fahrenden Bikern aufzulauern und lustvoll zu büssen. Das materiell weniger gut bestückte Wipkingen hat deshalb konsequenterweise keinen Polizeiposten. Bestätigt wird übrigens diese These des älteren Hönggs auch dadurch, dass es dort doppelt so viele Apotheken gibt wie in Wipkingen. Klar, die reiferen Höngger brauchen mehr Medikamente, Aufbauprodukte und Salben gegen vorzeitige Alterung und all die kleinen Massaker, die mit dem Alter fatalerweise einhergehen.

Höngg

Wer also etwas entrückt von der lärmigen City und dennoch möglichst nahe am Puls von Wirtschaft und Konsum leben will, zieht schlau nach Höngg. Man ist im Nu mit dem 13-er-Tram am Paradeplatz. Und man schläft dort garantiert ruhiger als im dichtegestressten Wipkingen, wo Nerds, Yuppies, Dinks, Hipsters, Alleinerziehende und Freischaffende jeglicher Couleur mit dem Powerbook im Café fiebrig Jahrhundertprojekte ausbrüten, wo wochentags der Limmat entlang Kitakinder in Marschkolonnen wackelnd Sauerstoff tanken und an sonnigen Sonntagen Myriaden von Jungeltern mit ihren monströsen Kinderwagen Limmatwege und Ausflugscafés verstopfen.