StädtebauVerkehr

Rosengartenstrasse: Wohneigentum an der lärmige Strasse ist gefragt

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Am meistbefahrenen Stück Strasse der Schweiz entstehen Eigentumswohnungen. Zum Erstaunen des Investors ist bereits die Hälfte der Wohnungen verkauft, obwohl erst die Grube ausgehoben ist.

http://www.citadina.ch/

Artikel im Tagesanzeiger vom 27.01.2015, Verrückt oder visionär? Baustelle an der Bucheggstrasse. Foto: Patrick Hürlimann

Zwischen Bucheggplatz und Hardbrücke verkehren täglich mehr als 56’000 Autos auf der vierspurigen Verbindung, gebildet von Buchegg- und Rosengartenstrasse. Die Lärmemissionen liegen über dem Alarmwert, das Strassenstück zerschneidet das Quartier. Der Stadtrat schrieb im Februar 2014 in ­einem Protokoll, die Siedlungs- und Aufenthaltsqualität werde durch diese «Trennwirkung» und den Lärm «massiv beeinträchtigt». Im nahe gelegenen Schulhaus Nordstrasse in Wipkingen bleiben die dreifach verglasten Schulzimmerfenster wegen der Abgas- und Feinstaubkonzentration den ganzen Tag geschlossen.

Sicht auf den Zürichsee

Just an dieser Lage entstehen Eigentumswohnungen. An der Bucheggstrasse 21/23, wo bis vor kurzem ein unansehnliches Mehrfamilienhaus stand, klafft eine Baugrube. «Wohnen in zwei Welten» preist die Immobilienfirma Matma das Projekt Citadina an. 19 Eigentumswohnungen stehen zum Verkauf, davon sind neun verkauft. Die noch erhält­lichen 1,5- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen kosten zwischen 595’000 und 1’150’000 Franken. Diese Wohnungen würden an «einzigartiger Lage» mitten in Zürich «Natur und Urbanität» verbinden und mit den Gegensätzen «kokettieren», steht auf der Website.

Matma-Inhaber Marcel Mathys ist freudig überrascht, dass bereits so viele Wohnungen verkauft sind. Er habe damit gerechnet, dass der Verkauf erst so richtig anlaufe, sobald der Rohbau stehe. Trotz des Verkaufserfolgs – geht er nicht ein grosses Risiko ein, an einer solchen Lage Eigentumswohnungen zu erstellen? Das sei nicht von der Hand zu weisen, sagt Mathys. «Doch viele Leute erkennen das Potenzial dieser Lage nicht, die Attika-Wohnungen haben ­sogar Sicht auf den Zürichsee.»

Nur drei Parteien wollten das Bauland überhaupt kaufen. Die Liegenschaft, die vorher auf der Parzelle stand, gehörte zwei Erbengemeinschaften. Ein Teil der Wohnungen befand sich laut Mathys in einem desolaten Zustand und hätte aufwendig saniert werden müssen.

Künftig weniger Verkehr

Die Lärmsituation soll sich auf der stark befahrenen Rosengarten- und Buch­eggstrasse frühestens in 15 Jahren deutlich verbessern. Stadt und Kanton Zürich haben im Herbst 2013 ein ambi­tioniertes Projekt präsentiert – einen Ausweichtunnel für den motorisierten Verkehr. Der Rosengartentunnel soll zwischen Irchel und Wipkingerplatz den grössten Teil des heutigen Verkehrs der Rosengartenstrasse aufnehmen. 860 Millionen Franken kostet das Projekt. Im Rosengartentunnel werden die ersten Autos nicht vor 2030 fahren. Ist die ruhige Zukunftsvision der Verkaufstrumpf für die Wohnungen? «Nein, wir erwähnen den Rosengartentunnel weder in den Verkaufsgesprächen, noch taucht er in der Dokumen­tation auf. Das wäre nicht seriös», sagt Mathys. Die Käufer seien vielmehr vom Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugt und glaubten daran, dass es in den ­Wohnungen ruhig sein wird.

Eine CD mit Strassenlärm

Um die Lärmschutzvorschriften einzuhalten, sind aufwendige bautechnische Lösungen notwendig. Mathys verkleidet die zur Strassenseite gewandte Fassade mit den Laubengängen mit Spezialglas und erstellt damit einen Lärmschutzwall. Die Wohnungstüren und -fenster sind Spezialkonstruktionen, um den noch vorhandenen Schall zu isolieren. Mathys hat eine CD produzieren lassen, auf der 84 Dezibel lauter Strassenlärm zu hören ist. Mit dieser CD und einem Spezialfenster demonstriert er Interessenten die Effektivität des Spezialglases.

Die Verkaufsbemühungen seien aufwendig. Viele Interessenten würden zwar eine Wohnung reservieren, sobald sie aber die Baustelle besichtigt hätten, würden sie die Reservation annullieren. Einige Leute hätten ihm geschrieben und gefragt, ob er verrückt sei, an dieser Lage ein solches Projekt zu realisieren. Käufer sind meist jüngere Leute oder Eltern, die für ihre studierenden Söhne und Töchter die Wohnungen kaufen. Einige Käufer wollen die Wohnungen zuerst vermieten und später darin den Lebensabend verbringen – mit wahrscheinlich verkehrsberuhigter Strasse.

An der mittlerweile verkehrsberuhigten Weststrasse, auf der täglich 23’000 Fahrzeuge fuhren und die als «Auspuff der Nation» galt, sind die Grundstückpreise stark gestiegen. Ob sich dieses Szenario wiederholen wird, wagt ­Günther Arber von der Stadtentwicklung nicht zu prognostizieren: «Die ­Qualität der Lage ist insofern eine andere, als an der Rosengarten- und Buch­eggstrasse das Tram verkehren soll.»

Die Rosengartenstrasse wurde 1972 als Provisorium geschaffen. Sie sollte bis zum Bau des Autobahndreiecks Ypsilon beim Platzspitz bestehen, das aber nie fertiggestellt wurde. Seither sind unzählige politische Vorstösse eingereicht und Initiativen lanciert worden, mit dem Ziel, den Verkehr zu reduzieren.

 

 

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