Kultur

Lesung mit Viktor Schobinger

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Der “Simenon von Wipkingen” las am 15. Januar 2005 14:30 im Pflegezentrum Käferberg aus seinem letzten Krimi: “En alte Schuelkoleeg vom Ääschme”.
25 Zuhörer lauschten gespannt.

schobinger

Es gibt Dinge, die stehen quer in der Landschaft. Da streiten sich gewichtige Leute über Gämsen und Gemsen, über unser Hochdeutsch und wie man das unserer Schüler auf einen Hannover-Level hochdressiert. Und mitten in diese sprachlichen Turbulenzen flattert eine Broschüre aufs Pult. Eine «ortografii» mit dem Titel «züritüütsch läsen und schriibe». Deren Autor: Viktor Schobinger aus Wipkingen. «Ob de gläis». Ein Dialekt-SMS mit Fehlern? Das sei ihm «schnurz», sagt Schobinger…

Hört man dort, über den Geleisen, die Züge, und wie hat sich ein Dialektspezialist eingerichtet? Mit Züri-Fahnen? Also: Die Züge hört und spürt man nicht. Auch wenn während des Gesprächs offenbar alle drei Minuten einer durchs Tunnel rauschte. Und punkto Züri-Flagge: Auch die war ein Vorurteil. Betritt man Schobingers Wohnung, fällt der Blick auf einen massiven Holz-Buddha, auf einen Lampion mit japanischen Schriftzeichen, auf Regale voller Bücher und vor allem auf das riesige Pult, das mitten im Raum thront. Alles in allem entsteht der Eindruck eines etwas in die Jahre gekommenen Arbeitszimmers eines reformierten Pfarrers.

Pfarrer ist Schobinger keiner und doch irgendwie ein Herr der Gebote. Das erste in seiner Orthografie-Fibel: «Me schriibt, wie me s ghöört.» Aber was hört man? Bei Herbst zum Beispiel. Herbst? Nein. Das B ist explosiver. Das E dreht ins Ä: Härpscht? Herpscht, schreibt Schobinger. Um damit gleich gegen das neunte Gebot zu verstossen? «Di züritüütssche Luut söled so nööch bi de Schriftschpraach si, das äim s Schriftbild nöd z frömd voorchunt». «Kommt es Ihnen denn fremd vor?», fragt Schobinger neugierig zurück und hat die Antwort grad parat. Wenn man schon Regeln habe, müsse man sich auch daran halten. Aber natürlich, das Schriftbild sei gewöhnungsbedürftig – wie bei jeder anderen Sprache übrigens auch.

Vif ist er, dieser fast 70-Jährige – und ein Purist? Einer, der einem jedes falsch geschriebene Dialekt-SMS krumm nimmt? Schobinger lacht. Das sei ihm «schnurz», und andere zu korrigieren, liege ihm sowieso nicht. Nur wenn man veröffentliche, brauche es eine Linie. Man könne ein Wort nicht mal so und dann wieder anders schreiben. «Sind Sie Sprachwissenschaftler?» -«Was denken Sie. Ich schreibe Krimis.»

Wie bitte, und was für welche? Die Frage verpufft im Leeren, weil Schobinger schon aufgesprungen ist. Kurze Zeit später kehrt er mit einigen Büchern und einem Verzeichnis seiner Werke zurück. Eindrücklich lang ist letzteres. Drei Sprachbücher, ein Roman, drei Bände Kurzgeschichten und achtzehn Krimis. «Also Schriftsteller.» – «Ein verhinderter.» Schobinger lacht schallend und kramt ein Blatt mit dem Titel «Über der autoor» hervor. Von 1973 bis 1987 Werbeleiter der viertgrössten Bank, heisst es da. Der Zürcher Kantonalbank also, und für die verfasste Schobinger unter anderem ein Züritüütsch-Büchlein.

… und Geld könne man mit Züritüütsch keines verdienen Der Dialekt packte ihn damals aber auch privat. Er brachte den «Prediger Salomo» in eine Mundartfassung und kombinierte das Büchlein mit einem Dictionnaire. «Links Hebräisch, rechts Züritüütsch und alles mit einer IBM-Kugelkopfschreibmaschine geschrieben. Die Akzente musste ich dann allerdings von Hand eintragen.»

Und eben den Ääschme, den Kommissar, den Schobinger seit 1979 fast jährlich auf Verbrecherjagd schickt. Fast immer in Zürich und immer auf Züritüütsch. «Krimis, die hier spielen, gab es schon. Aber Irgendwie fehlte denen etwas: der Dialekt.» So erfand Schobinger seinen Kommissar. Dessen Charakter? Zynisch sei er hin und wieder, der Ääschme. Er rege sich über die Welt auf, wisse aber, dass er sie nicht ändern könne. Manchmal saufe er und manchmal zu viel, beschreibt Schobinger seine Figur und räumt die vermutete Nähe zu Simenons Maigret ein.

Im Unterschied zum Pariser Kommissar löst der Zürcher seine Fälle jedoch prak tisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur einige Hundert Exemplare gibt Scho binger im Eigenverlag jeweils heraus. Gelesen werden sie von Liebhabern, von Heimwehzürchern, die in Nyon oder Bern wohnen. «Mit Züritüütsch cha mer käi galt verdiene», resümiert Schobinger. Am Dialekt will er trotzdem festhalten. Aus Liebe dazu und bis 2024. So lange sei er mit Buch projekten verplant. Dann schaue er weiter.

Artikel aus dem Tagblatt von Marcel Reuss
(Dienstag 24.8.04)

 

Läsiproob

Er häd äim scho früener nie i d äuge gglueget, chunt s em Ääschme wider: «Also: Was isch?» – «Tuet mer läid, das di zmittst i diim sundig schtöör. Hasch sicher wele go ässe … mit dinere …»-«… fründin!», hilfft er em, «tue doch nöd so, Ruck etz äntli use!» – «Los!», säit de Schtrickler, redt nöd wiiter, und der Ääschme hofft scho, er gong wider, aber de Schtrickler widerholt: «Los!», schtaadt uuf, gaad aber nöd zur tüür, sonder a s faischter und schlieret uf de Lindehoof use. «Jaa, ich lose!», truckt der Ääschme, wo langsam d gedult verlüürt. «Los, ich bin i de bröduj. Da bisch mer duu in sinn cho. Du muesch mich schütze. Mer wott mer a s läbe. Ich wiird bedroot.»

Aus: «En alte schuelkoleeg vom Ääschme», Züri-Krimi, Band 18, Schobinger-Verlag. Vorrätig: Buchhandlung Beer, Peterhofstatt 10

 

Nur halb verkehrte Welt:

Bei Viktor Schobingers Krimis muss man zuerst wieder lesen lernen – auf Züritüütsch.

Von Esther Scheidegger Zürich.
Tagesanzeiger 22.12.04

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Mit em Ääschme Häiri z Züri underwäggs

Der Zürcher Krimi-Autor Viktor Schobinger ist 70, sein Tschugger Ääschme ist vor einem Vierteljahrhundert geboren.

Eine Zürcher Spurensuche.

Er schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: gnadenlos Züritüütsch. Obwohl der Krimi-Autor Viktor Schobinger immer noch Luzerner Bürger ist, bis zum heutigen Tag, an dem er seinen Siebzigsten feiert. Wäre das Zürcher Bürgerrecht nicht ein passendes Präsent gewesen?

Schon Grossvater Schobinger hatte in Luzern nichts wie weggewollt, er zog 1885 in die weite Welt, schlug sich zu FUSS von Bukarest bis Konstantinopel durch. Der Enkel wurde in Wädenswil geboren und sozialisiert.

Als er im Literaturgymi Rämibühl Hebräisch lernte, merkte er, dass die deftigen Predigten Salomons in der Schulbibel theologisch purgiert wurden.

Er hat sie später ungeniert auf Zürichdeutsch übersetzt. Von 1973 bis 1987 war er Werbeleiter bei der ZKB, die, betont er, damals noch eine Bank des Volkes war. Und er ein Pionier, PR für Banken war allgemein noch Neuland. «Mä hat doch jedes zwäit jähr öp-pis chogs müese mache», also erfand er fürs Image und für die Kundenbindung gmögige Publikationen, etwa Familien-und Ortsnamen und weitere Merkwürdigkeiten.

Seinen «polizeilütnand Häiri Ääschme, scheff vo de gruppe ggwaltverbräche bi de kripo Züri» erfand er 1979.18 Züri-Krimis sind seither erschienen, Jahr für Jahr wie s Sächsilüüte, der 19. ist im nächsten April zu erwarten, mit dem Titel «Em Ääschme sini vier beize». Eine wird das «Alt-Züri» sein, wo Schobinger zum «kulturellen Archiv» gehört wie Maria Becker und Annemarie Blanc.

Er ist ein treuer Beizengänger, schon weil er nicht selber kocht, «Kaffeewasser ist das Einzige, was ich kann», und mit der Freundin nicht zusammenwohnt. Gern sitzt er in der Öpfelchammer, wo ihn jede und jeder kennt und wo man schätzt, dass er «frischi frücht lieber flüssig nimmt». Polizist Ääschme und sein Gschpusi Täitäi sind Stammgäste in der Ywonn-Bar – Lucy lässt grüssen. In den Krimis von Schobinger kann man nämlich herumspazieren wie in einem Stadtplan, man ist darin zu Hause.

Hausnummern und gelegentlich die Namen von Lokalen verfremdet er jedoch absichtsvoll: «Ich will doch kerne Prozesse!» Die zitronengelben Hefte mit dem Logo unserer kopflosen Stadtheiligen gibt er im Eigenverlag heraus. Auch die «Züritüütschi Chüürzgrammatik» und «Säit mee soo oder andersch?» Dass man lebenslänglich Zürichdeutsch redet, ist übrigens keine Garantie dafür, dass man es auch lesen kann. Ein Tipp für Einsteiger: sich den Text selber laut vorlesen!

Dass Simenon sein Idol ist, muss er gar nicht erst erklären, das merkt der Leser ohnehin. Die Verbrechen und deren Aufklärung sind ihm wie dem belgischen Altmeister vergleichsweise wurscht, wichtig dagegen die Milieus der Täter, der Opfer, der Ermittlungsbehörden – da schreibt er mit Herzblut und Sässeer (Sancerre).

Oder mit den Worten des Autors: «D phersoone in-trässiered en daa äigetli mee als d fäll.» In «Em Ääschme sini versouet wienacht» wird der Direktor einer Computerfirma liquidiert, in «En alte schuelkoleeg vom Ääschme» geht es um Frauenhandel und Geldwäscherei, «De Ääschme und di goldig schritpptisöös» spielt im Niederdorf, wo einst ein anderer Häiri ein Kalb verkaufte und prompt auf Abwege kam.

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